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Zeitung << 2/2003 << „Ich habe nie darüber nachgedacht“


„Ich habe nie darüber nachgedacht“
Ein Porträt von Leni Riefenstahl

Autor: Balázs Kiss

Filmkunst, geschaffen von einer Frau, deren Bild hinter kritikloser Bewunderung auf der einen Seite und emotionsgeladener Ablehnung auf der anderen Seite fast unkenntlich geworden ist.

Ihre Laufbahn
Leni Riefenstahl wurde am 22. August 1902 in Berlin geboren, studierte Malerei und begann ihre künstlerische Laufbahn als Tänzerin. Schon nach ihrem ersten Soloauftritt als Tänzerin "Diotima", 1923 in München, wurde sie so berühmt, dass Max Reinhardt sie für sein Deutsches Theater engagierte. Anfang der 20-er Jahre konnte sie nicht mehr weiter studieren, weil sie mit Angeboten als Balletttänzerin überhäuft wurde. Eine Knieverletzung beendete ihre sensationelle Karriere. Danach wurde sie als Schauspielerin, Filmregisseurin, Filmproduzentin und Fotoreporterin weltberühmt. Von Arnold Fanck (1889-1974) für den Film entdeckt, gab sie in "Der heilige Berg" ihr Schauspielerdebüt. Wegen ihrer sportlichen Form und weil sie sowohl Ski fahren als auch bergsteigen konnte, war sie die geeignete Schauspielerin für Fanck, der ihr in seinen Abenteuer- und Bergfilmen wichtige Rollen gab. Als Darstellerin in den Filmen „Der heilige Berg“ (1926), „Der große Sprung“ (1927), „Die weiße Hölle vom Piz Palü“ (1929), „Stürme über dem Mont Blanc“ (1930), „Der weiße Rausch“ (1931), „Das Blaue Licht“ (1932) und „SOS-Eisberg“ (1933) wurde sie weltbekannt. Ein Leben, geprägt von der Faszination der Bilder. "Das Blaue Licht", 1932: der entscheidende Schritt zur künstlerischen Selbstständigkeit. "Triumph des Willens", 1934: ein preisgekröntes Verhängnis, das ihre Karriere bis ins Alter hinein überschattete. Die Olympia-Filme von 1936: Meilensteine des Dokumentarfilms. "Tiefland", 1954: der Abschied vom Spielfilm.

Ihr filmisches Lebenswerk
Das Blaue Licht spielt eine zentrale Stelle in ihrem Lebenswerk, das war ihr persönlichster Film. Das Buch zum Film hatte der ungarische Schriftsteller und Dichter, Béla Balázs mitgeschrieben. Sie hatte kein Geld, deshalb konnte sie keinen Regisseur engagieren, so gab sie ihr Debüt als Regisseurin und übernahm darin selbst die Hauptrolle. Der Schnitt war auch ihre Arbeit, ohne vorherigen Unterricht. Sie glaubte, Parallelen zu ihrem Lebenswerk dadurch zu sehen, indem eine durch Hexenjagd gehetzte Frau ein wichtiges Motiv im Film ist. Der mystisch-romantische Bergfilm "Das blaue Licht" wurde auf dem Filmfestival in Venedig mit der Silbermedaille ausgezeichnet. In Deutschland wurde er ein Publikumserfolg und erregte die Aufmerksamkeit von Adolf Hitler.
Im Mai 1932 trifft sie zum ersten Mal Hitler, mit dem sie eine enge Freundschaft schließt, die auf gegenseitigem Respekt beruht. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 beauftragte Hitler Riefenstahl, den Film über den Reichsparteitag in Nürnberg zu drehen. Ihr Propagandafilm mit dem Titel Sieg des Glaubens setzte mit einer ästhetisch bestimmten Dokumentation die Selbstdarstellung der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) um. Dieser als Vorstudie zum "Triumph des Willens" geltende Film ist in keiner Kopie mehr aufzutreiben. Nach ihrer eigenen Zugabe hatte sich ihr Leben von diesem Augenblick an sehr dramatisch gestaltet. Zum Propagandaminister Joseph Goebbels stand sie trotz dessen offizieller Unterstützung ihrer Filmarbeiten in einem gespannten Verhältnis. Goebbels stand ihrer Freundschaft zu Hitler skeptisch gegenüber. Er hielt es für eine verrückte Idee, ausgerechnet sie zu beauftragen, während Parteigenossen jahrelang darauf warteten, einmal für die Partei zu arbeiten.
Auf die Frage, ob sie an marschierenden NS-Kolonnen etwas Anziehendes finden würde, sagte sie: „Ich konnte mir überhaupt nichts darunter vorstellen, ich hatte nie eine solche Versammlung gesehen.“ Der in sechs Tagen entstandene Triumph des Willens war die erste Dokumentation mit bewegter Kamera. In Wochenschauen war höchstens das Schwenken da. „Es hat sich herausgestellt, ich hatte eine Begabung, das Material so zu schneiden, in dem Rhythmus, dass es nicht so langweilig war, wie es in Wochenschauen aussah.“ Die Ausdruckskraft von Symbolen, wie dem Hakenkreuz, Flaggen und dem Reichsadler werden durch Licht- und Musikeffekte betont. Riefenstahl hat bei diesem Werk neue filmische Ideen eingeführt, weshalb der Film auch historisch interessant geblieben ist. Z.B. haben die Kameraleute Rollschuh fahren gelernt, um Fahraufnahmen machen zu können. Sie hat sogar einen kleinen Fahrstuhl einbauen lassen für die Höhenaufnahmen. Von Kritikern wird seine ideologische Gefährlichkeit darin gesehen, dass er an sich eintönige, ja langweilige Vorgänge auf künstlerisch perfekte Weise zu visionärer Bildkomposition überhöht. Damals glaubte Riefenstahl, dass man „Friedensjahren entgegensieht“. So paradox es klingt, hatte sie vom konkreten Programm des Nazismus nur eine nebelhafte Vorstellung. Sie habe nur einen guten Dokumentarfilm machen wollen, keine Wochenschau. Gerade darin liegt der Hauptvorwurf, der sie trifft: sie ließe sich vom Bilderrausch faszinieren, über die Folgen hat sie sich keine Gedanken gemacht. Das Wort ‚Faszination’ geht durch ihr ganzes Leben.
Dasselbe Schicksal, wie "Triumph des Willens", erlebte auch ihr weltbekannter Olympiafilm. Der aus zwei Teilen bestehende Film (Teil I „Fest der Völker“, Teil II „Fest der Schönheit“) erhielt ebenfalls die höchsten Auszeichnungen: 1937 die Goldmedaille von Paris, 1938 den ersten Preis von Venedig als bester Film der Welt, 1939 das Olympische Diplom des IOC und 1956 wurde er in den USA als einer der zehn besten Filme der Welt klassifiziert. Damit hebt sie Sportaufnahmen auf die Ebene der Kunst und zelebriert mit Bildern die Schönheit menschlicher Bewegung und Kraft. Zentral ist dabei die Verherrlichung des Körperlichen. Für eine sog. entnazifizierte Fassung brauchten 1958 von der insgesamt 5981 Metern der Urfassung nur 88 Meter entfernt zu werden. Diese zwei Filme sind nicht gerade im Sinn der nationalsozialistischen Rassenlehre entstanden. Darauf kommt die übliche Reaktion: „Ja, wahrscheinlich nicht, aber ich habe darüber eigentlich nie nachgedacht.“ Die damaligen offiziellen Programmhefte vermieden sorgfältig die Abbildung schwarzer Athleten. Bei Leni Riefenstahl waren sie mehrfach im Mittelpunkt. Dafür hatte sie weitgehend auf das propagandistische Rahmenprogramm zu Olympiade verzichtet. Hier deutet sich bereits an, dass es sich beim Olympia-Film von 1936 um ihre letzte Dokumentation während der NS-Zeit handelt. 1940 begannen die Dreharbeiten für den Film Tiefland. Für die Produktion wurden 60 Sinti und Roma aus Konzentrationslagern rekrutiert. Sie selbst erfüllte sich in diesem Opus den Wunsch, noch einmal als Tänzerin auftreten zu können. 1954 wurde er in die Kinos gebracht, ohne ein Erfolg zu werden.
Da auch in der Bundesrepublik eine Filmarbeit für sie unmöglich war, ging Leni Riefenstahl Mitte der 60-er Jahre nach Ostafrika. Hier entstand, im Sudan bei den Stämmen der Nubas, das Material zu einem Dokumentarfilm. Der Grundgedanke zu dieser unter großen Strapazen durchgeführten Filmexpedition war es, die Lebensgewohnheiten eines von der Zivilisation bedrohten Naturvolkes festzuhalten: seine Masken, seine Liebestänzen, seine rauschhaften Männerfeste. Kaum war das Nuba-Unternehmen beendet, startete die unermüdliche Leni zu neuen Abenteuern. Diesmal Unterwasser in die Karibik. Mit 71 Jahren erfüllte sie sich einen lange gehegten Traum: sie besuchte einen Tauchkurs. Für die Tauchprüfung änderte sie ihr Geburtsdatum von 1902 auf 1922, da sie in ihrem Alter keinen Tauchschein mehr machen darf. Es scheint, als wollte die 75-Jährige nun im Zeitraffertempo alles nachholen, was sie in den letzten 30 Jahren versäumt hatte. 1987 veröffentlichte sie ihre Memoiren, in denen sie eine Komplizenschaft mit dem NS-Regime unter Hinweis auf ihre rein künstlerische Motivation bei den Propagandafilmen abstreitet. Von der Kritik wurde das Buch verrissen. Das Werk erschien inzwischen in 13 Ländern und erzielte vor allem in Japan und den USA hohe Auflagen. 1992/93 wirkte Riefenstahl an der Filmbiographie „Die Macht der Bilder“ über ihr eigenes Leben mit. Der Film wurde auch im deutschen Fernsehen gezeigt und erhielt beste Kritiken. Er wurde mit dem Fernseh-Oscar "Emmy" ausgezeichnet und im New Yorker Museum of Modern Art gezeigt. Sie brachte nach 48 Jahren wieder einen Film auf unsere Leinwände. Pünktlich zum 100. Geburtstag kam im August 2002 „Impressionen unter Wasser“ in die Kinos. Der Film zeigt Ausschnitte aus mehr als 2.000 Tauchgängen, die Riefenstahl zwischen 1974 und 2000 im Indischen Ozean und nahe der Malediven unternahm. Nach einem langen, arbeitsamen und erfolgreichem Leben verstarb Leni Riefenstahl kurz nach ihrem 101. Geburtstag. Sie ist am Montag, den 08.09.2003 um 22:50 in ihrem Haus in Pöcking am Starnberger See sanft eingeschlafen. Leni Riefenstahl wurde am Freitag, den 12. September 2003, auf dem Ostfriedhof in München beerdigt.

Ihre Beurteilung Unabhängig von ihren propagandistischen Inhalten gelten die Filme Riefenstahls als Meisterwerke. Kameraführung, Schnitt, Effekte und Inszenierung wurden von vielen Filmschaffenden nachgeahmt. Hollywood-Regisseur George Lucas nannte Riefenstahl einmal „die modernste Filmemacherin überhaupt“. Die Ästhetik, die sie mit ihrer Arbeit geprägt hat, beeinflusst bis heute viele Genres. Von der Pop-Kultur einer Rammstein-Adaption bis hin zur Ästhetisierung in der Werbung. Die Rezeption der Riefenstahl-Filme bewegt sich zwischen ästhetisch-künstlerischer Faszination und ideologischer Verdammung.

"Nie habe ich bestritten, dass ich der Persönlichkeit Hitlers verfallen war. Dass ich das Dämonische zu spät in ihm erkannt habe, ist zweifellos Schuld oder Verblendung."
Auf die Klage, eine NS-Propagandistin gewesen zu sein, erwidert sie 1977: „Wissen Sie, ich werde oft darüber gefragt und ich habe bis Kriegsende nie darüber nachgedacht, weil ich damals die ausländische Presse nicht kannte. Ich wusste also gar nicht, was man über mich geschrieben hat. Nach dem Krieg war ich erst einmal 3 Jahre eingesperrt in Lagern und Gefängnissen, da wusst' ich auch nicht was geschieht. (…) Erst hat man gesagt, ja, sie war die Geliebte Adolf Hitlers. Ich denke, Eva Braun war das…“ Und sie lacht. Sie hat immer gelächelt. Vielleicht hat sie nicht einmal nach dem Krieg begriffen, was eigentlich geschehen ist. Vielleicht verkörperte sie das perfekte Muster der absolut naiven Künstlerin.
Es ist auch von an sich wohlmeinenden Kritikern gelegentlich gesagt worden, die Lüge mancher Riefenstahl-Filme bestehe darin, dass sie sich nur mit der glänzenden Fassade beschäftigten, die Nachtseite verschönerten. Das ist im Nachhinein, von der Gegenwart aus gesehen, sicher richtig. Dass Leni Riefenstahl einst vom weißen Rausch der Berge auf höchst naive Weise in den braunen Massenwahn geschlittert ist, kann man ihr den Zeitumständen entsprechend nachsehen. Millionen Deutschen ging es ebenso. Unentschuldbar bleibt, dass sie sich später, als sie sich zurückzog und offensichtlich wusste, wem sie gedient hatte, kein Wort der Distanz, wenn schon nicht der Verurteilung gefunden hat. Eine direkte Nazi-Propagandistin war Leni Riefenstahl nicht. Sie war aber auch keine verfolgte Unschuld. Vielleicht charakterisiert man sie am genauesten so. Sie hat Filmgeschichte geschrieben und dabei die zeitgeschichtlichen Bezüge, so grausig sie auch waren, verdrängt. Als von Bildern Besessene, stellte sie stets ihre eigene Person und ihre Arbeit in den Vordergrund. Über alles Weitere hat sie nicht nachgedacht. Das amerikanische „Time“-Magazin zählte Leni Riefenstahl als einzige Frau zu den „100 einflussreichsten und beeindruckendsten Künstlern des 20. Jahrhunderts“. Zu den Bewunderern ihrer Filmästhetik gehören unter anderem Francis Ford Coppola, George Lucas, Helmut Newton und Mick Jagger. Jean Cocteau nannte sie ein "Genie des Films".

„Ich glaube, so lange ich lebe, will ich das getragen haben, diese Erbschaft der Vergangenheit. Damit muss ich mich abfinden. Und ich habe mich damit abgefunden, denn in einem gewissen Sinne war ich nicht die Einzige, die das zu tragen hat. Es hat mehr oder weniger das ganze deutsche Volk darunter zu leiden. Und da ich im Dritten Reich sehr bekannt war als Künstler, ist das zu verstehen. Nur vergisst man, dass ich vor dem Dritten Reich viel mehr Filme gemacht habe, als während der Zeit. Das macht mich manchmal traurig, denn ich selbst glaube, dass ich diesen Star meiner Bekanntschaft und meines Könnens ja bewiesen habe, bevor Hitler an die Macht kam, durch meinen Film ‚Das Blaue Licht’ und die anderen Filme.“

Da ich den „Triumph des Willens“ auch selber gesehen habe, bin ich auch der Meinung, dass er tatsächlich ein ausgezeichnet gelungener, grandioser Propagandafilm ist. Ich kann mir sehr wohl vorstellen, dass sie überhaupt nicht an der Ideologie interessiert war; sie wollte nur die Schönheit des menschlichen Körpers, der in regulären Kolonnen marschierenden Massen herausheben. Trotzdem denke ich, sie kann nicht ganz freigesprochen werden, weil sie die wirklichen und gegenwärtigen Geschehnisse der damaligen Zeit nicht zur Kenntnis genommen hat. Wir können aber nicht ewig mit Vorurteilen leben, besonders gegen eine Frau, die künstlerisch unstreitbar Herausragendes geschaffen hat, in der Filmkunst und in der Fotographie.