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Zeitung << 2/2003 << Von Don Quijote fasziniert


Von Don Quijote fasziniert
Schweizer Filmwoche in Szeged

Autor: Balázs Szénási

Im November 2003 fand eine Schweizer Filmwoche im Szegediner Grand Café statt. Die meisten Filme sind künstlerische Momentaufnahmen junger Schweizer Talente. Allein die Namen der Regisseure wie Tania Stöcklin, Denis Rabaglia oder Richard Szotyori deuten die Vielfältigkeit der Anschauungsweisen und der gesamten schweizer Kulturszene an. Am 20. November lief der Film von Sabine Gisiger und Marcel Zwingli, Do it. Ein Land, das immer noch in zu vielen Köpfen mit Geschlossenheit und sturer Selbsteinsperrung verbunden und in manchen kurzsichtigen ungarischen Publizistiken, je nach innenpolitischen Interessen, als beinahe fremdenfeindliches Land dargestellt wird, erntet langsam die Früchte seiner bunten Gesellschaft. Natürlich gibt es einerseits die von den Medien nur noch verstärkten Konfrontationen zwischen den zu Recht stolz patriotischen Schweizern und den Neuankömmlingen, die sich oft nicht einmal richtig verständigen können, von Anpassung nicht zu sprechen. Anderseits ist dank der unglaublichen sozialen Großzügigkeit und der humanen Hilfsbereitschaft der fruchtbare Boden gegeben, wo die jungen Generationen mit ihren Wurzeln fest integriert stehen. In der Kultur, vor allem in der immer toleranten Künstlerszene ist das schon längst kein Thema mehr. Der Fremde ist immer interessant, bringt neuen Takt in den Alltag. Etwa diese Befürchtung zeigt die 8-minütige einleitende Fantasie von Reto Caffi, Bus-Stop 99. Früh am Morgen, Montag und Regen, Stimmungstief. Dann passiert etwas...
Es gibt einen Ausdruck, mit dem die CH nur selten assoziiert wird, nämlich Terrorismus. Der übrigens unsichtbare tolerante und soziale Staat macht es überflüssig, Probleme auf diese Art zu erörtern. Die Selbstverwaltung geht soweit, dass es sich nicht lohnt, gegen den Staat zu rebellieren. Noch mehr war das so Anfang der 70er Jahre, als Reto von Arb mit seinen Freunden in Zürich eine revolutionäre Gruppe gründete. Er erzählt im Film Do it von seinem Lebensweg. Sie waren damals um die 16, von Idolen wie Che Guevara fasziniert und begeistert. Der Geist der Zeit ließ sie gegen die gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten protestieren. Zum Glück dokumentierten sie schon ihre ersten „Aktionen”. Mit einer Super-8-Kamera wurden wunderschön-romantische Stimmungsbilder aufgenommen, auf Schifffahrten bei Sonnenuntergang, auf Zürcher Strassen. Doch ein Ziel haben sie nicht gefunden. Heute lacht Reto über ihre naive Einstellung, auch die Kollegen runzeln die Stirn, wenn alte Anekdoten aufkommen. Aus einem Waffenlager stahlen sie ein paar Maschinengewehre und Munition, diese Heldentat hätte auch schon gereicht, sie wussten nichts damit anzufangen. Doch die Begeisterung trieb sie weiter. Wenn Mohamed nicht zum Berg geht, muss der Berg eben zu Mohamed gehen. Das kann man auch in einem weniger übertragenen Sinne verstehen, denn nach dem italienischen Roten Brigaden und der deutschen RAF sowie spanischen, griechischen und britischen Terroristengruppen. traten sie auch mit arabischen Spionen in Kontakt. Alles wurde plötzlich ernst, als Reto und Co., die gerade den Schah in die Luft sprengen wollten, in Spanien hinter Gitter kamen. Nach einem Jahr Haft wurde er freigelassen, baute ein neues Leben auf, aber seinen idealistischen Ideen ist er treu geblieben. Die Vergangenheit folgte ihm lange Zeit, in diversen Ländern wurde er mittlerweile als internationaler Terrorist festgenommen. Er spricht mit reifer Selbstironie über die großen Entscheidungen und kleinen Zufälle seines Lebens. Die Esoterik hat ihn durch ein persönliches Erlebnis berührt, heute beschäftigt ihn diese Wissenschaft. Die vielen ehemaligen Freunde und Kollegen malen ein detailliertes und persönliches Bild von diesen bewegten Zeiten und ihren Ideen. Gute Archivaufnahmen führen uns zurück in die Stimmung der einstigen Rebellen. Die interkulturelle Auffassung bekommt jeder zu spüren, indem jeder Darsteller in seiner Muttersprache zu Wort kommt, alles wird deutsch untertitelt. Besonders mitreißend ist die Erzählungsweise von Reto. Sein züritüütsches Dialekt wandelt die Geschichte noch mehr in ein (selbst)ironisches Märchen um.

Do it – 2000, CH, Sabine Gisiger, Marcel Zwingli, 95’