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Zeitung << 2/2003 << Interview mit Dr. Mathilde Hennig


Lektorin aus Temesvár in Szeged
Interview mit Dr. Mathilde Hennig

Autorin: Orsi Birta

Jeder Germanistikstudent unserer Uni kennt Dr. Mathilde Hennig, die DAAD-Lektorin der Szegediner Universität. Die deutsche Lektorin aus Leipzig lebt zur Zeit in Temesvár (in Rumänien) mit ihrer Familie und verbringt drei Tage in der Woche in Szeged. Vor vier Jahren zog sie und ihre Familie nach Temesvár. Vor zwei Jahren hat sie begonnen an der Szegediner Uni zu arbeiten. Drei Jahre lang war sie Lektorin in Temesvár in einem Magisteraufbaustudiengang. Ich persönlich hatte die Möglichkeit sie schon im ersten Semester meines Studiums kennen zu lernen. Jeder aus dem ersten Studienjahr kann und soll ihre Vorlesung 'Landeskunde' besuchen. Ich meinerseits hatte auch das Landeskundeseminar bei ihr. Schon damals fand ich sie sehr sympathisch und habe ihr daher gerne Fragen gestellt.

Sie arbeiteten früher als freie Lektorin in Szeged. Seit wann arbeiten Sie als DAAD-Lektorin?
Als ich vor vier Jahren nach Temesvár kam, habe ich mich gleich um Kontakt zum Institut für Germanistik in Szeged bemüht. Seit zwei Jahren arbeite ich an der Szegediner Universität. Im ersten Jahr war ich Lektorin, damals noch keine DAAD-Lektorin, also auf die Stelle, die letztes Jahr Claudia Teumer hatte und jetzt Marianne Keßler besetzt. Seit einem Jahr bin ich DAAD-Lektorin.

Wie finden Sie Ungarn und die ungarischen Studenten?
Ich fühle mich in Ungarn sehr wohl. Das Problem ist, dass ich nicht richtig hier wohne, deswegen kann ich das Leben in Ungarn nicht richtig genießen. Ich bin drei Tage in der Woche hier und in der Zeit bin ich am ganzen Tag an der Uni. Sowohl ich als auch meine Familie fühlen uns in Ungarn sehr wohl. Ich habe den direkten Vergleich von Rumänien zu Ungarn, und ehrlich gesagt in Rumänien ist das Leben immer noch rückschrittlicher. Ich arbeite sehr gerne mit den Studenten. Die Studenten sind interessiert, fleißig, und die gesamte Organisation der Seminare gefällt mir. Hier hat man Seminare bis 20 Studenten, in Deutschland hat man kein Seminar unter 50 Studenten. Ich muss aber hinzufügen, dass ich mit der Landeskunde im ersten Studienjahr häufig sehr unzufrieden bin. Ich bemerke immer, dass die Studenten kein politisches Interesse haben, und daher macht der Landeskundeunterricht nicht so viel Spaß. In den höheren Studienjahren sieht es natürlich schon anders aus. Da wissen sie meistens, was sie eigentlich wollen.

Haben Sie schon mal in anderen Ländern als Lektorin gearbeitet?
Ich war ein Jahr lang in England im Rahmen einer Organisation, die sich teacher assistant nennt. Hier geht es darum, dass man während des Studiums ein Jahr lang in einer Schule unterrichten kann. Man unterrichtet im Prinzip Konversation in kleineren Gruppen. Das wird bezahlt, und es ist eine tolle Gelegenheit, ein Land kennen zu lernen.

Im Verhältnis dazu, wie beurteilen Sie die Sprachkenntnisse der ungarischen Studenten?
Viel besser! Das war auch der Grund dafür, warum ich gerne nach Osten wollte. Man bringt viel bessere Sprachkenntnisse aus der Schule mit. In England habe ich bemerkt, dass da in einem Sprachunterricht komische kommunikative Methoden befolgt werden, die nicht so richtig zum Ergebnis führen. Meiner Erfahrung nach ist das Sprachniveau in den westlichen europäischen Ländern niedriger als in den östlichen. In Leipzig hatte ich schon mal ungarische Studenten. Ich hatte die Erfahrung, dass sie viel besser Deutsch sprechen, als Studenten z.B. aus Portugal oder England.

Viele wissen, dass sie in Leipzig studiert haben und dass Sie im Bereich Linguistik tätig sind. Was haben Sie genau studiert?
Genau habe ich Deutsch als Fremdsprache studiert, also nicht Germanistik. Deutsch als Fremdsprache ist in der Tat praktisch ausgerichtet auf Unterrichten von Ausländern. Zusätzlich habe ich Anglistik und Russistik gemacht.

Sie publizieren im Bereich Linguistik. Welche sind die Ihnen nahe stehenden Themen?
Ich habe meine Dissertation im Bereich Tempus geschrieben. In der letzten Zeit habe ich aber nicht mehr dazu gemacht. Mein Hauptthemenbereich ist Grammatik der gesprochenen Sprache. In der letzten Zeit habe ich mich am meisten mit diesem Thema beschäftigt.

Was alles muss man tun, um ein DAAD-Stipendium zu bekommen? Welche Kriterien gibt es?
Man kann das nicht pauschal sagen. Das Wichtigste ist auf jeden Fall die Motivation des Studenten. Der Bewerber muss es beweisen, dass er wirklich aus Leidenschaft Germanistik studiert, und dass er dieses Stipendium nicht nur darum bekommen will, um ein paar Monate lang in Deutschland einkaufen zu gehen. Ich empfehle immer allen, die zu mir kommen, auf die Beschreibung ihrer persönlichen Studienvorhaben viel Wert zu legen. In dem Bereich kann man sich nämlich von den anderen Studenten unterscheiden. Meiner Erfahrung nach ist die Motivationsbeschreibung das wichtigste Kriterium. Ich habe einmal an einer Stipendiumauswahl teilgenommen, und ich hatte den Eindruck gewonnen, dass alle Bewerber gute oder sehr gute Leistungen vorweisen können. Gute Noten und positive Gutachten von Professoren hat fast jeder Bewerber. Es kann also nicht entscheidend sein. Wichtig ist, dass die persönliche Motivation gut zum Vorschein kommt.

Wie lang soll die Motivationsbeschreibung sein, und was soll sie enthalten?
Die Länge und die Gestaltung richten sich nach der Stipendienart. Bei Hochschulsommerkursen soll die Motivationsbeschreibung nicht so lang sein. Da braucht man eine Beschreibung allgemeiner Art einzureichen. Beim Semesterstipendium ist das Ziel, in Deutschland zu studieren, also nicht forschen. Das heißt, in der Motivationsbeschreibung soll ein ganz gezieltes Interesse deutlich werden. Man muss aber natürlich keinen konkreten Forschungsplan beschreiben. Um ein Abschlussstipendium zu bekommen, soll man einen konkreten Plan für die Diplomarbeit haben. Es umschließt erstens einen allgemeinen Plan für die Diplomarbeit, zweitens einen konkreten Plan darüber, welchen Teil der Diplomarbeit man in Deutschland erledigen will, drittens einen Zeitplan d.h. wie lange man in Deutschland recherchieren möchte.

Wie viele Germanistikstudenten haben die Möglichkeit, in einem Jahr ein DAAD-Stipendium zu bekommen? Wie hoch sind die Chancen eines Bewerbers im Allgemeinen das Stipendium zu bekommen?
Zahlen und Statistik gibt es nur für das ganze Land, also kann ich nicht sagen, wie viele aus Szeged dazu die Möglichkeit haben. Die Statistik sagt, dass es pro Jahr für Ungarn ungefähr 20 Plätze für Semesterstipendium, 10 Plätze für Abschlussstipendium und etwa 90 Plätze für Hochschulsommerkurse gibt. Man muss hier bemerken, dass das Stipendium für Hochschulsommerkurse nicht nur Germanistikstudenten bekommen, also diese 90 Plätze werden nicht bloß von Germanistikstudenten besetzt. Was die Chancen angeht, die sind ungefähr 1 zu 3.

Hat man die Möglichkeit, das Bundesland oder die Stadt selbst auszuwählen, oder wird man nach dem Thema irgendwohin geschickt?
Das hängt auch von der Stipendienart ab. Bei Hochschulsommerkursen sieht es so aus, dass die Kurse jedes Jahr von bestimmten Hochschulen angeboten werden. Wenn man das Stipendium bekommt, wird einem eine Broschüre geschickt, dann soll man sich einen Ort nach dem Kurs aussuchen. In der Bewerbung gibt man nicht an, wo man hin möchte, es wird also danach entschieden. Die Semesterstipendien werden als eine Art Tutorenprogramm vergeben. Wenn man ein Semesterstipendium bekommt, wird man von Ort betreut. Deswegen kann man sich die Hochschule auch nicht selber aussuchen, denn es gibt nur ungefähr 15 Hochschulen, mit denen der DAAD ein solches Tutorenprogramm vereinbart hat. Man wird vom DAAD an eine Hochschule geschickt. Die einzige Stipendienart wo man sich den Ort aussuchen kann und soll ist das Abschlussstipendium. Man richtet seine Auswahl danach, von wem man seine Arbeit in Deutschland betreuen lassen möchte, oder wo man hingehen möchte. Man kann im Internet nachsuchen, ob es an der ausgewählten Uni einen Professor gibt, den man um Betreuung bitten kann.

Hat ein Student mit zwei Fächern, der sich für ein Semesterstipendium beworben hat, die Möglichkeit, während dieses Semesters sich auch mit dem anderen Fach zu beschäftigen?
In Deutschland ist es kein Problem, glaube ich. Ob man hier in Ungarn die Kurse anerkannt bekommt, das hängt vom betreffenden Lehrstuhl ab. Wenn man die Kurse anerkannt bekommen möchte, muss man das unbedingt mit dem betreffenden Dozenten besprechen.

Zielgruppe der Hochschulsommerkurse sind nicht gerade oder nicht nur Germanistikstudenten, sondern Studenten anderer Fächer. Wie hoch sind die Chancen der Germanistikstudenten unter diesen Umständen?
Prinzipiell würde ich den Germanistikstudenten immer empfehlen, die verschiedenen Stipendienmöglichkeiten für Germanistikstudenten auszuschöpfen. Hochschulsommerkurse sind unter anderem für die Studenten bestimmt, die keine andere Stipendienmöglichkeiten haben. Für Germanistikstudenten besteht die Möglichkeit, ein Semesterstipendium oder ein Abschlussstipendium zu bekommen, und das muss man auf jeden Fall probieren. Aber um ein Stipendium für Hochschulsommerkurse kann sich ein Germanistikstudent ebenfalls bewerben. Die Chancen sind gleich, man muss eben eine gute Motivation haben.

Ist es möglich, dass man sich im Laufe des Studiums mehrmals um DAAD-Stipendien bewirbt, oder gibt es Beschränkungen?
Bei verschiedenen Stipendienarten ist es prinzipiell möglich. Aber es ist sicherlich nicht möglich, dass man ein Jahr nach dem anderen z.B. einen Hochschulsommerkurs besucht.

Schließlich würde ich nach Ihren zukünftigen Plänen fragen.
Meine Familie und ich bleiben noch ein Jahr lang in Temesvár. Wie es weitergeht, wissen wir leider noch nicht. Wir würden gerne in Szeged bleiben, ich habe vom DAAD das Angebot bekommen. Das Problem ist, dass es hier, in Szeged keine deutsche Schule für die Kinder gibt. Wir müßten in Budapest wohnen, aber es ist nicht ganz klar, ob der DAAD sich damit einverstanden erklärt.