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Zeitung << 2/2003 << Sprechen Sie Wienerisch?


Sprechen Sie Wienerisch?
Eine kulinarische Sprachreise in Wien

Autorin: Katinka Gutai

Diese Frage klingt ganz einfach, und vielleicht würden auch viele von uns diese Frage mit einer anderen Frage erwidern: Wieso? Gibt es denn dort so große Unterschiede? Reichen meine normalen Deutschkenntnisse nicht mehr aus? Alle, die sich mindestens einmal länger in einem deutschsprachigen Land aufhielten, wissen ganz genau, dass sich die gesprochene deutsche Sprache und die offiziell unterrichtete Sprache oft stark unterscheiden. In der Praxis kann das bedeuten, dass die unterrichtete Sprache in realen Sprachsituationen unnatürlich klingt. Die Muttersprachler der verschiedenen Sprachregionen würden in manchen Kontexten ganz andere Ausdrücke oder andere morphologische, syntaktische Konstruktionen bevorzugen.

Das Österreichische ist eine der Standardvarietäten der deutschen Sprache. Eine bewusste Abgrenzung von der deutschen Sprache Deutschlands kann seit dem Ende des zweiten Weltkriegs festgestellt werden. Zu dieser Zeit schrieb man lieber allein „Unterrichtssprache“ in die Zeugnisse, und nicht „Deutsch“. Ein anderes Beispiel ist der pejorative Ausdruck Piefke für die Deutschen, der vom Namen des preußischen Militärkomponisten Gottfried Piefke kommt. Unter den regionalen Dialekten von Österreich spielt das Wienerische mit dem Westösterreichischen eine hervorgehobene Rolle. Diese Varietäten werden auch am intensivsten untersucht. Die meisten Dialekte von Österreich zeigen mit dem Südbayerischen und Mittelhochdeutschen eine Verwandtschaft, abgesehen von dem Vorarlbergischen, das eine alemannische Sprache ist, und dem Schweizerischen ähnelt. Das Wienerische selbst kann mit einem „Eiskasten oder Kühlschrank“ verglichen werden (Peter Wehle), in dem alte Wörter der deutschen Sprache erhalten sind. Für seinen Wortschatz ist es außerdem sehr charakteristisch, dass er stark durch die Völker der Donaumonarchie geprägt ist. Die wichtigsten Spendersprachen waren Italienisch (Karfiol, Aranzini, Ribisel), Tschechisch (Buchtel, Kolatsche), Ungarisch (Fogosch= dt. Zander, Gulyas, Palatschinke). Neben diesen Einflüssen kann man auch viele bayerische (Busserl, heuer), und einige französische (Plafond), englische (Tram, Truthhahn) und jiddische oder aus der Zigeunersprache und Ganovensprache (jenisch) stammende Ausdrücke im Wienerischen finden.

Zur Geschichte des Wienerischen
Das Wienerische entstand am Kaiserlichen Hof, in der Zeit von Maria Teresia (Alt Wienerisch). Seit 1918 sprechen wir vom Neuwienerisch und seit 1955 vom Jungwienerisch. Diese Sprache entwickelt sich ständig weiter, und auf die Weise entstehen neue Wörter, wie Bäckenhäusl (Altersversorgungsanstalt) oder Blechtrottl (Computer), deswegen kann sich die Sprache der alten Generation von den jungen stark unterscheiden. Seit 1951 gibt es auch ein „Österreichisches Wörterbuch“, das die Unterschiede zwischen dem Binnendeutschen und dem Österreichischen markiert. Es gibt aber auch andere spezielle Wiener Wörterbücher. Neben einer bewussten Pflege der österreichischen Sprache war die letzte wichtige Etappe der Abgrenzung von der deutschen Sprache die Verabschiedung des Protokolls 10, das für den Schutz von 23 Austriazismen sorgt, die als Bestandteile der EU anerkannt werden. Diese Ausdrücke kommen aus dem Bereich der Gastronomie, da dort viele prägnante Unterschiede festgestellt werden können: z. B. Beiried (dt. Roastbeef), Erdapfel (Kartoffel), Faschiertes, Fisole (Grüne Bohne), Karfiol, Kohlsprossen (z B. Rosenkohl), Obers, Ribisel, Rostbraten, Topfen, Weichsel (Sauerkirsche).

Die deutsche Sprache in Wien im Vergleich zu Deutschland
Es gibt natürlich viel mehr Austriazismen, und viele von ihnen kommen aus den Themenbereichen Gastronomie, Verwaltung, Freizeit, Familie. Ulrich Ammon versuchte die verschiedenen Austriazismen danach zu klassifizieren, ob sie austauschbar sind, und ob sie auch in anderen Varietäten der deutschen Sprache vorkommen. Nach seiner Untersuchung gibt es spezifische Austriazismen, die nur in dem Österreichischen vorkommen wie z.B. Marille für Aprikose (dt., schweiz.). Straubzucker dagegen ist ein sehr unspezifischer Austriazismus, da es sowohl dem schweizerischen als auch dem süddeutschen Begriff entspricht (dt. Puderzucker). Paradeiser ist ein austauschbarer Austriazismus, da die deutsche und schweizerische Entsprechung Tomate bereits auch in Österreich verbreitet ist. Durch die bundesdeutschen Medien und Fremdenverkehr setzten sich auch andere binnendeutsche Formen durch, wie Kartoffel für die österreichischen Erdäpfel, Sahne für den österreichischen Obers. Es gibt aber auch andere, nicht lexikalische Abweichungen, z.B. in der Wortbildung, wo die Sprachgewohnheit der Österreicher vorherrscht, dass sie mit den Diminativa -erl, -el alles gerne verkleinern: wie Buberl, Mäderl oder Dirnderl. Es gibt auch interessante Fälle, wie z.B. Weinderl, wo die Endung nicht mehr darauf hinweist, dass der Wein klein ist, es bedeutet viel mehr, dass es um einen Qualitätswein geht. Ähnlich bedeutet Schwammerl auch keinen kleinen Pilz, und ein Momenterl kann auch ruhig etwas länger dauern. Für die Norddeutschen mag es vielleicht komisch klingen, dass man in Wien folgende Wörter aus den Substantiven bilden kann: Hirschernes, Kälbernes, Lämmernes, Schweinernes. Statt dessen würden sie lieber Zusammensetzungen mit dem Wort Fleisch bilden, z. B. Schweinefleisch (in Wien sagt man eher Schweinfleisch). Im Wienerischen spricht man statt helles „a“ ein dunkles „a“, man sagt also im Restaurant: ein Glosl Wosser, bitte. Man sagt auch Boch und Voter, statt Bach und Vater. Wenn man scherzen möchte, könnte man auch ruhig behaupten, dass sich über die Unterschiede zwischen b-p, g-k, d-t niemand mehr in Wien den Kopf zerbricht, alles wird abgeschwächt. Die Endungen -zen, -ren, die sonst eine Widerholungsform markieren, erhalten in diesem Dialekt oft eine eigenständige Bedeutung: gugerzen bedeutet ‚mit dem Besteck am Teller kratzen’, gigerzen heißt ‚stottern’. In Wien kann es auch passieren, dass man in Pluralformen auch in den für die norddeutschen Ohren ungewöhnlichen Fällen Umlaut hört (die Süddeutschen haben mit der österreichischen Sprache Vieles gemeinsam): Wägen, Krägen. Die Genitivendungen -s, -es können auch spurlos verschwinden, und in Wien ist es grammatisch richtig, wenn man sagen hatte wollen sagt. Man darf sich auch nicht darüber wundern, wenn man manchmal die Joghurt (dt., schweiz. r/s) oder öfters das Brezel hört (dt., schweiz. fem.).

Sprache auf dem Weihnachtsmarkt, im Café und im Heurigen
Das Wienerische kann man hautnah in der Gastronomie erleben. Auf dem Weihnachtsmarkt kann man Marone (Edelkastanie), Kukuruz (aus dem Kroatischen, dt. Mais), Geröstetes (gebratene Kartoffeln) essen oder Punsch trinken. Am Würstelstand bekommt man verschiedene Würstel oder Haaße (Heiße), also Frankfurter, Leberkäse, Blunze (Blutwurst). Im Gasthaus, also Beisel kann man Risipisi, Topfenkaluschka, Pogatschkerln, Kaiserschmarrn, Tafelspitz (gekochtes Rindfleisch), Nockerl, Indian (Truthahn), Schulterscherzl, Eierspeise (Rührei), Eierschwammerl (Pfifferling) mit Mayonnaise (nicht Majonäse!) essen. Den Wein trinkt man offen, zu Achteln oder Vierteln oder gespritzt (Achtelliter Wein gespritzt: Gspritzter). Bier bekommt man in Flaschen oder offen: ein Seidel ist 1/3 l, ein Krügel 1/2 l. Wer gerne Wein trinkt, geht auch in die Heurigen, also die Lokale, die den Heurigen (dt. Jungwein) verkaufen. Die Heurigen sind wegen der umliegenden Weingebiete von Wien populär geworden. Sie bieten nicht nur Weinderl sondern auch Musik und ein bestimmtes Menü mit z.B. Häuptelsalat (Kopfsalat), Fleckerl, Hend(e)l zum Braten (Hähnchen) an. In den berühmten Kaffeehäusern von Wien muss man auch beweisen, dass man die gastronomischen Austriazismen gut kennt: Melange (Kaffee mit Milch), Schale Gold (Kaffee etwas heller, goldbraun), Großer Brauner usw. Wenn man etwas Süßes oder Salziges möchte, wird man in Wien Salzstangerl, Kokosette (Kokosflecken) oder Lebzelten (Lebkuchen) kosten. Man sollte also nicht heikel (wählerisch) sein und alles gustieren (kosten), was gustiös (appetiterregend) aussieht. Wenn man im Wienerischen einen Einser (eine Eins) bekommen möchte, sollte man die Speisekarten lange studieren und den Menschen auf der Straße gut zuhören. Zu diesem Studium wünsche ich den Deutsch lernenden GeMa-Lesern viel Erfolg, aber vergesst bitte nicht, Wien ist nicht nur wegen der Sprache viele Besuche wert. Wiederschauen in Wien!