Startseite | Impressum | Zeitung | Beiheft | Archiv nach Autoren | Archiv nach Rubriken








Zeitung << 2/2003 << Bräuche zu Weihnachten im Erzgebirge


Bräuche zu Weihnachten im Erzgebirge
Autorin: Anikó Lengyel

Wenn der Dezember an den Türen klopft, bedeutet das nicht nur, dass die Tage kürzer und kälter werden. Der Wind, der die Wangen rötlich färbt und die Haare zerzaust, bringt auch Harmonie, Wärme und Düfte mit sich, die zu Weihnachten dann vereint die Sinne und Gefühle der Menschen auf der ganzen Welt verzaubern. In Deutschland gibt es ein Gebiet, wo dieser Zauber einen tiefen und schon weltweit bekannten Brauch hat. Dieses Gebiet ist Teil Sachsens, genauer gesagt, ist es das Erzgebirge.

Vor Weihnachten fahren viele Busse voll mit neugierigen Touristen durch die schmalen Bergstraßen der kleinen Dörfer und Städte, denn alle wollen ein Stück von diesem einzigartigem Gefühl bekommen, das zwar überall in dieser Zeit sich verbreitet, aber nur im Erzgebirge noch so klar und sauber zu spüren ist. Da werden Schwibbögen, Räuchermänner, geschnitzte Engel und Bergmänner in die Fenster gestellt, die das Dorf mit ihrem Licht so erhellen, dass man auch nachts die benachbarten Dörfer weit weg über die Berge sehen kann. Alle Häuser, Bäume und Gärten strahlen in einem einheitlichen, gelbschimmernden Licht. Es ist aber mehr als nur Dekoration. Es ist Tradition, die bis zur Besiedlung dieses Gebietes zurückzuführen ist.
Die ersten Bewohner lebten vor allem vom Erzbergbau, für sie war die Schnitzerei nur eine Freizeitbeschäftigung. Als der Bergbau aber nicht mehr als stabile Einnahmequelle diente, mussten sich die Leute um neue Möglichkeiten umsehen. So wurde aus einem Hobby eine bis heute standhaltende Beschäftigung. Der Wald diente als Quelle für den Rohstoff, die Phantasie und der Glaube für die Motive. Früher, als die Bergmänner spät am Abend nach Hause gingen, gab es noch keine Straßenlampen, deshalb wurden die Strassen oft mit den in den Fenstern gestellten Kerzen erhellt. Die Männer schnitzten Bergmänner und Engel, die die Kerzen hielten, die mit der Zeit nicht nur als Beleuchtung dienten, sondern man wusste auch der Zahl der Figuren entsprechend, wie viele Kinder im Hause sind. Der Engel symbolisierte das Mädchen, der Bergmann den Jungen.
Die Pyramiden erzählen meistens die Geschichte der Geburt von Jesus Christus. Die Pyramide steht auf einem Boden aus zwei in der Mitte gekreuzigten Holzstangen. An den Enden werden je eine, insgesamt vier Kerzen aufgestellt. In der Mitte befindet sich die stufenweise geordnete Schnitzerei, und wenn die Kerzen angebrannt werden, dreht sich das Ganze durch die Wärme. Es gibt sie in verschiedenen Größen. Kleine für die Stube und meterlange für den Platz vor dem Rathaus oder der Kirche. Der Form des Schwibbogens diente auch der Bergbau als Ausgangspunkt. Man muss sich nur den Stollenausgang vorstellen: Einen großen Bogen, den die Sterne am Himmel beleuchten. Die Bögen werden aus Holzplatten ausgesägt, als Motiv werden Rehe im Wald, die Geburt Christi oder einfache, weihnachtliche Bilder verwendet und mit Kerzen im Halbkreis umgeben. Die Räuchermännlein werden auch handgefertigt. Man kann sie auseinander nehmen und Räucherkerzen hineinstellen. Sie werden angezündet, der Oberteil der Figur wird wieder zurückgestellt und so kommt der Rauch dann aus dem Mund der Figur, wenn es ein Häuslein ist, dann aus dem Schornstein. Es gibt den klassischen Duft, aber auch Tannbaumduft. Die schönen Gegenstände wurden aber nicht nur in den Fenstern gezeigt, sondern auch auf den Märkten verkauft. Jeder hatte seinen eigenen Stand, wo er seine handgefertigten Produkte vorführen konnte. Dieser Brauch lebt noch bis heute. Es gibt immer noch Handwerker, die selbstgeschnitzte Holzwaren produzieren und diese wertvolle Kunst an die nächste Generation weitergeben.
Der Weihnachtsmarkt, ohne den wir uns die Vorweihnachtszeit kaum noch vorstellen können, ist ein Platz, wo man alles bekommt, was man sich nur wünscht. Stollen, Bratwurst, Glühwein, gebrannte Mandeln und Kastanien, in Schokolade getunkte Äpfel, Nussknacker, Räuchermänner in verschiedenster Form und Farbe, Glaskugeln, Lametten und noch vieles anderes. Der Stollen – auf Erzgebirgisch auch „Striezel” genannt – ist das Festgebäck des Weihnachtens, so wie es in Ungarn den „bejgli” gibt. Der Christstollen symbolisiert das in Windeln gewickelte Christkind. Es wird mit Mohn, Marzipan oder mit Rosinen gefüllt. So wie in Ungarn, gibt es auch hier Kirchenchöre, auch „Kurrende” genannt. Sie singen nicht nur in jedem Gottesdienst, sondern gehen an den Adventssonntagen von Haus zu Haus und tragen Weihnachtslieder vor. Sie bestehen aus fünf Mädchen und fünf Burschen, die einen leuchtenden Stern in der Hand halten.
Am Heiligen Abend läuten dann nachmittags um vier die Glocken der Kirchen, die meistens noch aus dem 15. Jahrhundert stammen, und rufen zum Gottesdienst. Da bewegt sich fast das ganze Dorf nach oben, den Hügel hinauf.
Wenn ihr einmal Gelegenheit dazu bekommt, dieses Gebiet Deutschlands zu besuchen, dann dürft ihr es euch nicht entgehen lassen, denn es gibt hier zu allen Jahreszeiten etwas zu sehen. Die Natur ist immer ein angenehmer Gastgeber.