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Zeitung << 2/2002 << Interview mit Szandra Péter


„Aus 100 Kilometer sind 1100 Kilometer geworden”
Interview mit Szandra Péter

Autorin: Erzsébet Harcos

Im Leben jedes Einzelnen ist die Studienzeit eine ganz besondere. In dieser Zeit entwickeln sich tiefe Freundschaften, berufliche Qualifikationen und Perspektiven, man lernt vieles über sich selbst, man lernt andere Menschen und das Leben kennen. Jeder erlebt diese Zeit anders. Besonders diejenigen, die nicht in ihrem Heimatland, sondern im Ausland studieren, wie Szandra Péter, erleben diese Jahre anders. Sie hat nicht die gewöhnliche Laufbahn einer 18-Jährigen eingeschlagen, denn sie hat ihre Unizeit in Deutschland, in Düsseldorf verbracht. Zur Zeit unterrichtet sie in Baja im Ungarndeutschen-Bildungszentrum (UBZ). Sie erinnert sich aber gerne an ihre Studienjahre in Deutschland. GeMa hat sie danach gefragt:

Wie bist zu dieser Möglichkeit gekommen in Deutschland zu studieren?
Als ich im letzten Schuljahr des Gymnasiums war, wurde bei uns in der Schule für zwei Schüler ein Stipendium für ein 5-jähriges Studium in Düsseldorf ausgeschrieben. Es sollte von der Düsseldorfer Hermann-Niermann-Stiftung finanziert werden. Voraussetzungen waren ein erfolgreiches Abitur, das Deutsche Sprachdiplom II und die Zugehörigkeit zur deutschen Minderheit.

Musstest du auch eine erfolgreiche Aufnahmeprüfung an einer ungarischen Universität bestehen?
Ja, das war auch eine Bedingung für die Zuerkennung des Stipendiums. Ich wurde als Germanistikstudentin an der Universität Szeged aufgenommen. Geplant war also ein Studium in der Nähe meines Heimatortes, in Szeged, das etwa 100 Kilometer von Baja entfernt ist. Aus den 100 Kilometern sind aber 1100 Kilometer geworden. Ich habe das Stipendium erhalten und konnte im Oktober 1996 mein Studium in Düsseldorf antreten. Ich habe dort bis 2002 studiert.

Wo warst du während der sechs Jahre untergebracht?
Ich habe in einem Studentenwohnheim in einer WG mit zwei Ungarinnen zusammengewohnt, was in Bezug auf meine Sprachentwicklung eher ein Nachteil war.

Wie viel Geld hast du monatlich von der Stiftung bekommen?
Anfangs ist uns für den Lebensunterhalt 1000 DM zur Verfügung gestellt worden, später ist das Stipendium auf 1100 DM erhöht worden. Ich habe von dem Stipendium die Miete mit den Nebenkosten, die Versicherung, die Telefonrechnung und meine sonstigen Ausgaben finanziert.

Was hast du studiert?
Ich habe Germanistik und Erziehungswissenschaften auf dem Studiengang Magister studiert und ich habe die Zusatzqualifikation Deutsch als Fremdsprache erworben.

Wie ist das Germanistikstudium in Düsseldorf aufgebaut? Was für Fakultäten gibt es dort?
In Düsseldorf kann man Lehrveranstaltungen der folgenden Lehrstühle belegen: Germanistische Sprachwissenschaft, Neuere Deutsche Philologie und Ältere Deutsche Philologie und Didaktik der deutschen Sprache und Literatur. Das Germanistikstudium dauert 9 Semester. Es ist in ein Grundstudium und in ein Hauptstudium eingeteilt. Am Anfang des Studiums gibt es bestimmte Einführungskurse jeder Fachrichtung, die obligatorisch sind. Bis zum Ende des Grundstudiums muss man eine gewisse Semesterwochenstundenzahl erreichen. Für welches Seminar man sich anmeldet, ist aber nicht festgelegt. Das ist einem selbst überlassen. Wichtig ist, dass man sich vor Augen hält, welches Fach man später im Hauptstudium als Schwerpunkt wählt. Am Ende des Grundstudiums muss man eine sogenannte Zwischenprüfung absolvieren. Nur im Falle des Bestehens der Zwischenprüfung kann man sein Hauptstudium fortsetzen.

Wie sind bei euch die Prüfungen organisiert?
Wir müssen während des Studiums sogenannte Leistungsnachweise (Scheine) sammeln, die ins Studienbuch eingeheftet werden. Die Scheine sind entweder durch eine Klausur, eine Hausarbeit, ein Referat oder eine mündliche Prüfung zu erwerben. In welcher Fachrichtung hast du dich spezialisiert und mit welchem Thema hast du dich in deiner Diplomarbeit beschäftigt? Ich habe im Hauptstudium Sprachwissenschaft als Hauptfach gewählt. Neuere Deutsche Philologie, die sich mit der Literaturgeschichte ab der Zeit Goethes befasst, habe ich als Nebenfach gehabt. Die Ältere Deutsche Philologie (bzw. Mittelhochdeutsch) habe ich abgewählt. Das hieß, dass ich in meinem Hauptstudium nur noch in meinem Haupt- und Nebenfach Seminare belegen und Scheine erwerben musste. Abschlussprüfungen musste ich in beiden Fächern ablegen und das Thema der Magisterarbeit musste ich aus dem Bereich meines Hauptfaches wählen. Ich habe mich in meiner Magisterarbeit mit der Entwicklung der Substantivmorphologie im Deutschen befasst.

War es schwer in der neuen Umgebung zurechtzukommen? Wie ist das Studentenleben in Düsseldorf?
Natürlich war die Anfangszeit schwer. In den ersten Monaten kam ich mir ziemlich einsam und verloren vor. Ich habe von heute auf morgen mein Land, meine Familie, meine Freunde verlassen müssen und in Düsseldorf hat mich zunächst die Unsicherheit, das Neue erwartet. Die Phase der Zurechtfindung in meiner neuen „Heimat” hat auch die Tatsache schwieriger gemacht, dass ich der deutschen Sprache noch nicht so mächtig war. Da auch bei uns jeder einen eigenen Stundeplan gehabt hatte, hat man immer andere Gesichter in den Seminaren gesehen. Dazu ist noch gekommen, dass es auf dem großen Unigelände von ca. 20 000 StudentInnen nur so wimmelte. So war das Kennenlernen doch nicht so einfach. Die Uni ist oft nur ein Ort, der uns für eine gewisse Zeit verbindet, aber anschließend geht jeder seinen eigenen Weg. Ich habe aber Glück gehabt und im Rahmen einer Einführungswoche an der Uni bereits am Anfang erste Freundschaften geschlossen, die bis heute gehalten haben und aus denen sich lebenslange Freundschaften entwickelten. Wir sind zusammen in Seminaren gesessen, in der Mensa gehockt, haben für Klausuren gelernt, uns immer wieder motiviert, und wir sind zusammen in Urlaub gefahren. Ich habe mich langsam eingelebt und die bekannten Gesichter auf dem Campus und in der Cafeteria wurden mehr und mehr.

Was war schwieriger, Düsseldorf zu begrüßen oder Düsseldorf zu verlassen? Bereust du keine Minute, dass du dich vor sechs Jahren für ein Studium in Deutschland entschieden hast?
Es war beides schwer und bei beiden habe ich Träne hinterlassen. Aber bereuen tue ich diese Entscheidung nicht. Auch wenn es manchmal Unannehmlichkeiten gab (z.B. die Warterei auf die neue Aufenthaltserlaubnis), habe ich eine Menge gewonnen, nicht nur eine Menge Deutschkenntnisse, sondern Freunde fürs Leben und viele Erfahrungen über eine andere Kultur. Mich beschäftigt aber oft der Gedanke, wie sich mein Leben entwickelt hätte, wenn ich damals diesen Schritt ins ferne Deutschland nicht gemacht hätte und nach dem Abitur an der Szegeder Uni studiert hätte. Es würde mich schon interessieren, wie mein Leben heute, im Jahre 2002 ohne all die Änderungen der letzten sechs Jahre aussehen würde.

Vielen Dank für das Gespräch!