Startseite | Impressum | Zeitung | Beiheft | Archiv nach Autoren | Archiv nach Rubriken








Zeitung << 2/2002 << Interview mit Prof. Dr. Burkhard Schaeder


„Willst du etwas über dich selber erfahren? Dann studiere Germanistik!“
Interview mit Prof. Dr. Burkhard Schaeder

Autorin: Andrea Schneider

Enttäuscht von den Literaturwissenschaftlern der 60er Jahre, die wenig von dem Material verstanden, aus dem Literatur gemacht ist, nämlich von der Sprache, wandte sich ein junger Student der Sprachwissenschaft zu. Nach dem Studienabschluss der Germanistik, Philosophie und Geschichte arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter in Bonn, Mannheim und Essen. Später wurde er Professor an der Universität Siegen, wo er seit fünf Jahren Dekan des Fachbereich 3 „Sprach-, Literatur- und Medienwissenschaften” ist. Burkhard Schaeder ist ein anerkannter Linguist. Er war auch an der Reform der deutschen Rechtschreibung beteiligt. Seit 1990 besucht er regelmäßig die Universität Szeged, um am Institut für Germanistik als Gastprofessor Vorlesungen und Seminare zu halten. Er hielt mehrere Veranstaltungen zu Lexikologie, Lexikographie, Rechtschreibreform und Saussure. Im September 2002 hat er ein Hauptseminar (Terminologie und Fachlexikographie) und ein Doktorandenseminar (Lexikologie) geleitet.

Sie waren schon mehrmals in Szeged. Wie gefällt Ihnen unsere Uni?
Die Uni und die Atmosphäre gefallen mir sehr gut! Seit meinem ersten Besuch im Jahre 1990 ist es nun das achte Mal, dass ich hier bin. Dank der germanistischen Institutspartnerschaft, die seit zehn Jahren zwischen unseren Unis gefördert wird, waren zahlreiche Kolleginnen und Kollegen sowie Studierende aus Siegen in Szeged und aus Szeged in Siegen zu Gast. Wir haben gemeinsam einige Konferenzen veranstaltet, etliche Projekte durchgeführt und eine stattliche Anzahl von Publikationen herausgegeben.

Sind Sie zufrieden mit den heutigen Studierenden, mit ihrem Wissen und ihren Sprachkenntnissen?
Ja, sogar sehr. Mir ist aufgefallen, dass die heutigen Studierenden mehr wissen als jene vor zwölf Jahren. Das linguistische Studium ist intensiver und systematischer geworden und die meisten verfügen über einen reichhaltigen Wortschatz. Ich würde sie mit den polnischen und russischen Studierenden vergleichen, die meistens besser sind als solche aus Ländern wie England, Spanien und Frankreich.

Stört Sie die Passivität der StudentInnen? Was denken Sie, worauf das zurückzuführen ist?
Zuerst müssen wir uns kennen lernen. Sie müssen sich auf meine Art der Lehre einstellen; ich muss herausfinden, wo ihre Stärken liegen und worauf sie reagieren. Die erste Woche war diese Phase, aber langsam verschwindet diese anfängliche Passivität. Es ist mittlerweile schon sehr viel besser geworden.

Was macht Ihrer Meinung nach einen guten Dozenten aus?
Wichtigste Voraussetzung ist es, das eigene Fach und den Stoff gut zu beherrschen. Jemand, der unsicher ist, wird gegenüber den Studierenden auch unsicher. Man muss auf Studierende zugehen können, sie gut betreuen und neben den fachlichen auch über pädagogische, didaktische und methodische Fähigkeiten verfügen. Außerdem muss man forschen und weil man Lehre und Forschung nicht alleine betreibt, auch teamfähig sein.

Was zeichnet andererseits ideale Studierende aus?
Auf jeden Fall müssen sie ihr Fach gerne studieren. Man bemerkt sofort den Unterschied, ob jemand sein Studienfach bewusst oder aus Verlegenheit, weil ihm nichts anderes eingefallen ist, gewählt hat. Regelmäßige Teilnahme an den Veranstaltungen, Erledigung der erteilten Aufgaben, aus eigenem Antrieb mehr zu lernen, als verlangt wird, sind auch Merkmale idealer Studierender. Und was für mich noch ganz wichtig ist, dass sie Fragen stellen, Neues und Genaues wissen wollen. Gute Studierende erkennt man daran, dass sie viel fragen.

Sie haben den Artikel über die Zukunftspläne von Gymnasialschülern im Heft 2/2001 des GeMa gelesen, wonach Germanistikstudium heutzutage in Ungarn nicht angesagt ist. Sind Sie enttäuscht von diesen Meinungen?
Ich denke, die meisten von diesen Schülern können sich nicht vorstellen, was Germanistik heißt. Man sollte ihnen Fragen stellen, wie etwa: Willst du etwas über die Gegenwart und Vergangenheit einer anderen und damit auch deiner eigenen Kultur erfahren? Möchtest du deine Phantasie anregen lassen und sie anstrengen? Willst du deine Sprachkenntnisse verbessern, dich in der deutschen Sprache gut ausdrücken können, etwas lernen, was du beruflich nutzen kannst? Willst de etwas über dich selber erfahren? Dann haben wir ein wunderbares Angebot für dich! Studiere Germanistik!

Als Linguist haben Sie an mehreren Wörterbüchern und an der Rechtschreibreform mitgearbeitet, die vor einigen Jahren in heftigen Debatten kritisiert wurde. Wie empfinden Sie diesen Kritik?
Kritik ist normal. Sie lässt sich im Übrigen rational erklären, wenn man bedenkt, dass die Kritiker vor allem aus der Perspektive der Lesenden argumentieren, während die Befürworter der Reform vor allem die Interessen der Schreibenden, insbesondere derer im Sinn hatten, die das Schreiben lernen und lehren. Mein Hauptmotiv für eine Reform war es, das Lernen und Lehren der deutschen Rechtschreibung zu erleichtern. Dazu trägt u.a. die Beseitigung von Ausnahmen und eine größere Systematik bei, was nicht zuletzt auch der Stärkung der Norm und damit der Festigung einer Einheitsschreibung dient.

Woran arbeiten Sie jetzt? Welche Pläne haben Sie für die Zukunft?
Intensiv mitgearbeitet habe ich am „Metzler Lexikon Sprache”, in dem rd. 250 Artikel für den ganzen Bereich der Lexikologie und Lexikographie von mir stammen. Zur Zeit arbeite ich an einer Bibliographie und an einem Wörterbuch der Lexikographie, außerdem an einer Geschichte der Sprachwörterbücher des Deutschen, die es bisher noch nicht gibt. Das ist im Moment mein größtes Projekt. Die germanistische Institutspartnerschaft mit Szeged möchten wir weiterhin aufrechterhalten. Schließlich ist ’Auslandsgermanistik’ sehr wichtig für uns. Der Blick von außen ermöglicht uns neue Einsichten in unsere Sprache und Literatur. Deshalb hoffe ich, dass im Ausland vermehrt Germanistik gelernt und gelehrt wird.

Internet:
Universität Siegen: www.uni-siegen.de
Linguistik Siegen: www.lissie.uni-siegen.de
Burkhard Schaeder: www.lissie.uni-siegen.de/lehrschaeder.htm