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Zeitung << 2/2002 << Zweisprachige Kinder
Zweisprachige Kinder
Autorin: Beatrix Tóth
Zweisprachige Kinder sind wie alle anderen Kinder auch, nur haben sie den unschätzbaren Vorteil eine zweite Sprache mühelos gleich mitgelernt zu haben. Ein Zweisprachiger hat die zweite Sprache, die er ebenfalls als Kommunikationsmittel benutzt, durch natürlichen Zusammenhang erlernt. Es hat sich eine Vielfalt mentaler Gewohnheiten aufgebaut, die entweder zu dem einen oder zu dem anderen Sprachsystem gehören. Wenn er von der einen in die andere Sprache übersetzt, wird das nicht unbedingt wörtlich sein. Er wird eher den Text sinngemäß in der anderen Sprache wiedergeben.
Verschiedene Studien haben gezeigt, dass ein Kleinkind, das in dem Moment, in dem es anfängt zu sprechen, mit zwei Sprachen in Berührung kommt, beide Sprachen mit einer unglaublichen Leichtigkeit und anscheinend ohne Mühe erlernen kann. Es nimmt beide Sprachsysteme in sich auf und kann entweder in der einen oder der anderen Sprache denken.
Viele Eltern haben Angst, dass ihr Kind beide Sprachen mischen könnte. Jemand, der zwei Sprachen gleichzeitig erlernt, muss ständig gut umschalten können, d.h. dass er von einem Sprachsystem in das andere wechseln können sollte. Sollte das nicht gut gelingen, kann es zur Sprachmischung kommen, die dann auftritt, wenn beide Sprachen nicht gleichmäßig benutzt werden. Durch das gleichmäßige Benutzen wird die Sprachtrennung systematisch geübt. Sprachmischungen sind im Kleinkindalter allerdings noch ganz normal. Die Kleinen suchen für beide Sprachen ein einheitliches System. Je mehr das Bewusstsein ihrer Zweisprachigkeit zunimmt, desto mehr nimmt das Vermischen ab. Die Kinder können durchaus mit 2 Jahren schon die Unterschiede der Sprachen durch Hören erkennen.
Testergebnisse
Testergebnisse zeigen, dass bei Kindern im Alter von 22 bis 24 Monaten die Unterschiede zwischen ein- und zweisprachigen Kindern unerheblich sind. Von 46 bis 48 Monaten sind zweisprachige Kinder linguistisch reifer, denn sie verfügen über einen größeren Wortschatz und beherrschen die verknüpften Sprachfunktionen besser. Ein- und zweisprachige Kinder vermeiden zunächst gleichermaßen schwierige und unliebsame Wörter, wobei gerade Gehörtes und Gelerntes in die eigenen Aussagen integriert wird. Bei bilingualen Kindern fällt jedoch auf, dass sie besonders beliebte Wörter aus beiden Sprachen mischen, z.B. "gut kút" (deutsch-ungarisch).
Es gibt einige Methoden die, den doppelten Spracherwerb erleichtern:
Das Prinzip "eine Person - eine Sprache" anwenden. Um den Kindern klare Orientierungshilfen zu geben und um einer Mischsprache vorzubeugen, sollte jeder Elternteil konsequent nur eine Sprache mit dem Kind sprechen, jene Sprache, in der er selbst aufgewachsen ist. Das geschieht meist ganz natürlich. Beim Reden mit Babys zum Beispiel verfallen die meisten Menschen automatisch in ihre Muttersprache. Da geht es nicht um Informationsvermittlung, sondern um Gefühle. Kinder begreifen, dass die Mutter anders redet als der Vater, und antworten so, wie sie angesprochen werden. Wenn nicht beide Elternteile auch die Sprache des anderen gut beherrschen, müssen sie sich auf eine Familiensprache einigen, auf die Sprache, die am Tisch gesprochen wird oder beim gemeinsamen Spiel, damit sich alle gut verstehen und niemand ausgeschlossen wird.
Es empfiehlt sich, jene Sprache als Familiensprache zu wählen, die nicht die Umgebungssprache ist: Weil z.B. in Ungarn die Kinder auf dem Spielplatz, in Kindergarten und Schule ungarische Spielgefährten bekommen, kann eine Familiensprache, die sich nach dem fremdsprachigen Elternteil richtet, ein gutes Gegengewicht schaffen.
Wenn ein Kind zwei Sprachen gleichzeitig lernt, muss es beide in gleichem Maße hören und sprechen. Bei einer deutschen Mutter, die sich fast den ganzen Tag mit dem Kind beschäftigt, und einem ungarischen Vater, der nur am Wochenende zu Hause ist, sorgen die ungarischen Freunde des Kindes für die Ausgewogenheit. Schwieriger wird es, wenn der Vater den fremdsprachlichen Part übernimmt: Verbringt er weniger Zeit mit dem Kind als seine Frau und ist überdies der einzige im Lebensumfeld des Kindes, der überhaupt die fremde Sprache benutzt, hat es diese Sprache schwer. Ihr Erwerb muss unterstützt werden, zum Beispiel durch Gutenachtgeschichten und Lieder.
Das Kind muss merken, dass zwei Sprachen nützlich sind. Ein Kind, das in Ungarn nur mit seiner Mutter Deutsch spricht, erlebt erst im Urlaub in Deutschland, dass auch Kinder untereinander Deutsch sprechen. Dann erkennt es plötzlich den Nutzwert seiner zwei Sprachen.
Es hilft, wenn jeder Elternteil sich bemüht, auch die Sprache des anderen zu lernen. Wer kein Wort versteht, wenn der Partner mit dem Kind lacht, fühlt sich schnell ausgeschlossen. Dann kann es leicht Machtkämpfe um die "richtige" Sprache fürs Kind geben, die zum Ende der zweisprachigen Erziehung führen. Mit zwei Sprachen aufzuwachsen ist für Kinder kein Problem. Genauso wie sie im Deutschen erkennen, dass "Auto" und "Wagen" das Gleiche bedeuten, begreifen sie, dass "Stuhl" und "szék" den gleichen Gegenstand bezeichnen.
Man kann nur hoffen, dass viele ehrgeizige junge Eltern es wagen werden sich für die zweisprachige Erziehung zu entschließen. Damit werden sie ihren Kindern bestimmt ganz andere Perspektive und Entwicklungsmöglichkeiten auf den Weg zum Leben mitgeben. So werden auch die Grundsteine zum Germanistikstudium frühzeitig gelegt.
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