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Zeitung << 2/2002 << Erlebnisse eines Seminars - Kulturtechniker 2002
“Wir vertonen eigentlich die Literatur, die uns am meisten am Herzen liegt“
Erlebnisse eines Seminars - Kulturtechniker 2002
Autorin: Ildikó Bogdán
Die Kulturtechniker, der Schauspieler Martin M. Hahnemann und der Musiker Ralf Werner, haben im November 2002 ihren zweiten Musiktheater-Workshop an der Universität Szeged verwirklicht. Der Workshop, den man als Literaturseminar belegen konnte, endete mit einer Aufführung im AudiMax, wo die Kulturtechniker und die GermanistikstudentInnen sowie die StudentInnen des Musikkonservatoriums das Ergebnis der zweiwöchigen Lehrveranstaltung präsentierten. Im folgenden Interview erzählen sie über ihre Zusammenarbeit, über die Situation der ungarischen Literatur in Deutschland und über ihre Beziehung zu Szeged.
Von eurer Homepage wissen wir, dass ihr im Jahre 1995 mit einer neuen Form der musikalisch-literarischen Performance begannt. Wie würdet ihr diese neue Form definieren?
Ralf Werner: Es ist ungefähr ein elektronisches Lesekonzert. Die Grundidee ist die Interaktion zwischen Sprache und Musik auf einer Bühne zu intensivieren. Wir vertonen die Sprache und lassen die Musik erzählen. Die Begegnung zwischen diesen zwei Kulturtechniken, zwischen dem Musiker und dem Sprecher wollen wir betonen.
Es ist interessant zu beobachten, dass ihr euch relativ viel mit Texten aus dem 20. Jahrhundert, vor allem mit Werken von Heinrich Böll beschäftigt. Woran liegt das?
Ralf: Also angefangen haben wir ja interessanterweise mit einem Text aus dem 19. Jahrhundert, Edgar Allan Poe, weil das von Martin ein lang gehegter Wunsch war, diesen Text zu vertonen. Der Fall des Hauses Ascher ist unsere am längsten gespielte Produktion. Auch die Beschäftigung mit Böll und mit anderen aus dem 20. Jahrhundert war ein innerer Wunsch von uns. Böll bedeutet eine gewisse Atmosphäre der Sprache, der Situation, die wir vertonen wollten. Wir vertonen eigentlich die Literatur, die uns am meisten am Herzen liegt. Einmal haben wir uns periphär ein bisschen mit deutscher Klassik beschäftigt, aber unsere literarisch-künstlerische ästhetische Heimat ist eben das 20. Jahrhundert.
Wie wählt ihr die Texte aus, die ihr dann aufführt und warum habt ihr für unser Seminar eben das Buch von Terézia Mora ausgesucht?
Ralf: Die Textauswahl ist auch impulsgesteuert. Als ich 1999 privat zum ersten Mal, für 48 Stunden in Ungarn war, habe ich die Dreieck von Gyõr, Szombathely, Sopron aufgesucht und das ist eigentlich die Gegend, wo das Buch von Terézia Mora spielt. Ich habe zufällig in der Zeit von dem Buch gehört, weil es damals den Ingeborg Bachmann-Preis bekommen hat. In Ungarn habe ich Eindrücke erlebt, die ich dann im Buch wiedersah. Damals entstand die Idee, eimal die Geschichte aufzuführen.
Wie bekannt sind die ungarischen Autoren in Deutschland? Ist Imre Kertész berühmt geworden?
Martin M. Hahnemann: Ich denke, dass seitdem Ungarn Gastland auf der Frankfurter Buchmesse war und seitdem Terézia Mora den Ingeborg Bachmann-Preis bekam, die Situation der ungarischen Literatur viel besser geworden ist. Jetzt durch die Nobelpreisverleihung natürlich noch besser.
Ralf: Ich bin der Meinung, dass die ungarische Literatur in Deutschland ein Schattendasein führt. Nach der Buchmesse erschien sie in verschiedenen Feuilletons, im Deutschland-Radio, aber solche Initiativen hören nach einer bestimmten Zeit immer schnell auf. Das ist jedes Jahr so: ein Jahr reden alle über polnische oder egal welche Literatur, stürzen sich darauf, und dann wird es leider wieder ruhig. Ich muss es ganz realistisch sagen: so ist das auch mit der ungarischen Literatur in Deutschland. Die Nobelpreisverleihung verbessert vielleicht ein bisschen die Situation. Was ich aber noch wichtig finde: Budapest ist jetzt sehr interessant geworden für bestimmte urbane Gruppen; Akademiker, usw. Die Berührung mit dem Land ist sehr wichtig. Wenn sie ihre Impressionen mit nach Hause bringen, gehen sie in eine Buchhandlung, und kaufen sich ein ungarisches Buch oder verschenken das. Der Städtetourismus nimmt zu, und ich denke, dass dies langsam die Leserzahl wachsen lässt. Ich glaube, dass sie schon heute langsam wächst, aber man darf das nicht überwerten. Zur Zeit ist die ungarische Literatur leider wirklich nur marginal.
Ihr organisiert zum zweiten Mal einen Workshop in Szeged. Wie entstand eure Beziehung zu unserem Institut?
Ralf: Im Mai 1998 fand in Weimar die Ungarisch-Thüringische Wirtschaftsausstellung statt. Ich wollte mir da nur die Kataloge ansehen, weil ich von Ungarn nichts wusste, außer dass es 1999 Schwerpunktland an der Frankfurter Buchmesse sein wird. Ein unbekannter Herr gab mir da eine Visitenkarte von dem Frankfurter Büro “Ungarn grenzenlos“. Und da ich von dem Text Bölls “Aufenthalt in X“ wusste, dass er in Ungarn spielt, habe ich mich an das Büro in Frankfurt gewandt und so sind wir dann bei Professor Árpád Bernáth gelandet, der uns dann auch mit “Aufenthalt in X”, mit einer Böll-Vertonung zum Thema Ungarn auf die Buchmesse eingeladen hatte. Unsere Aufführung hat Prof. Bernáth sehr gut gefallen, und im Jahre 2000 haben wir mit ihm vereinbart, einen Workshop in Szeged mit Hilfe des Goethe-Instituts zu realisieren. So konnten wir im April und Mai 2001 diese Zweiländertour machen, mit Auftritten in der Slowakei und in Ungarn, und eben hier in Szeged speziell mit diesem einwöchigen Musik-Theater Workshop, wofür wir zum Glück noch die Robert-Bosch-Stiftung gefunden hatten.
Im April 2001 wart ihr nur zu zweit in Ungarn, diesmal ist auch Katalin Kis-Rabota, die 2001 Studentin unserer Universität und Teilnehmerin eures Seminars war, dabei. Seit wann arbeitet sie mit den Kulturtechnikern?
Ralf: Nach unserem letzten Workshop stellte es sich im Gespräch heraus, dass Kathy nach Deutschland geht. Und wir hatten nichts dagegen, in der Produktion ein fremdes Wesen zu haben. Für 99% der Deutschen ist ja Ungarisch völlig unverständlich. Sie wissen ja noch nicht einmal, dass Ungarisch Ungarisch ist, es ist so fremd. Und wenn man jemanden Ungarisch und später dann noch Deutsch auf der Bühne sprechen lässt, ist es sehr interessant. Wir freuen uns darüber, sie kennen gelernt zu haben.
Wie beurteilt ihr die Seminare und die Aufführung am 29.11.2002?
Martin: Die Aufführung war auch nach der Meinung der Zuschauer echt phantastisch! Es freut uns, dass ganz viele da waren, und dass auch die improvisatorischen Teile Beifall geerntet haben. Was wir dieses Jahr machten, ist eine Weiterentwicklung vom letzten Jahr. Diesmal haben wir schon 2 Wochen hier verbracht, und nicht nur die Germanistikstudenten, sondern auch die StudentInnen des Musikkonservatoriums haben mitgemacht. Ich würde gerne noch einen Schritt weitergehen, andere Teile der Universität miteinbeziehen usw. Die Begegnung mit euch, die Arbeit an den Texten und die Musik hat uns Spaß gemacht. Für unsere Arbeit an den Szenen waren aber zwei Stunden pro Tag wahnsinnig wenig. Wenn das irgendwie organisatorisch möglich ist, würde ich bei einem eventuellen nächsten Workshop daraus vier machen wollen und dazu noch Einzelunterrichtseinheiten. Es ist schön, durch die schauspielerische Arbeit eine ganz andere Art von Zugang zur Sprache zu bekommen. Da ist der ganze Mensch mit all seinen Gefühlen gefragt. Um das zu erfahren, braucht man aber Zeit.
Die Teilnehmer des Seminars haben betont, dass euer Seminar eigentlich auch als Sprachübung oder als Phonetikstunde belegt werden könnte, weil sie sich besonders in diesen Bereichen sehr viel entwickelt haben. Das haben allerdings auch einige Professoren nach der Aufführung festgestellt. Wie bewertet ihr als Muttersprachler unsere Deutschkenntnisse?
Martin: Ich habe den Eindruck, dass der Durchschnitt der Kenntnisse höher ist als letztes Jahr und dass die Aussprache schon ein Stück weiter ist. Ich staune, wie viel umgangssprachliche Idiome ihr kennt! Ich denke, es ging mehrmals auch soweit, dass ihr mich im Deutschen korrigiert habt, wie etwas heißt!
Ralf: Auf jeden Fall würde ich mir in 40 Jahren einmal die Ungarischkenntnisse wünschen, die ihr als Deutschkenntnisse habt!
Wir wünschen euch viel Erfolg, und hoffen, dass die StudentInnen des Instituts auch nächstes Jahr die Möglichkeit haben werden, euch ein bisschen Ungarisch beizubringen!
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