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Zeitung << 2/2002 << Cavete Münster


Cavete Münster
Fallstudie zum semantischen Wandel

Autor: János Németh

Der Spruch Cavete Münster (in den 50ern hieß es: Fürchtet (euch vor) Münster, denn sie hat so viele Kneipen wie keine) hat seinen Sinn verloren, so die stolzen Münsteraner, da es mittlerweile schon mehr Kneipen gibt als Straßenecken. Die Provinzialstadt - die Benennung wäre allerdings aus dem Munde eines Ortsansässigen an sich schon ein Majestätsverbrechen - hat ihren Ruhm durch einmal seriöse, einmal infantile Tops und Hips verdient, denen vom Stadthaus aus vielfach größere als die nötige Wichtigkeit beigemessen wird, was allerdings oft nur Outsider erkennen.

Um nun Lust auf die erste Kommunistenstadt, gemeint ist das Täuferreich, zu machen, soll hier zunächst die sonnige Seite, die im wörtlichen Sinne immer die kleinere ist, von Münster dargestellt werden. Das Fahrrad (im Ortsdialekt: Leeze) ist ein tolles Verkehrsmittel, wenn man es (noch) hat. In Münster lohnt es sich jedoch, es gelb mit roten Punkten und blauen Streifen zu streichen, ansonsten findet man es im Dschungel nicht wieder. Denn Fahrräder gibt es hier mehr als Einwohner. In Münster muss selbst Gott, wenn er Auto fährt, vor den Radfahrern anhalten. Die Polizei ist auch scharfsinnig genug, die die StVO verletzenden „Radler“ zu bestrafen (wenn z.B. der oberschlaue Radfahrer statt an der Fahrradampel anzuhalten auf den Fußgängerweg auszuweichen versucht).
Keine Sorge, in einer der 80 Kirchen gibt es sicherlich Platz zum Beichten. Und das tun sie auch, denn die Stadt ist streng katholisch. Moderne Lebensweise und Konservativität ergeben allerdings interessante Konstraste: Nonnen am Steuer oder am Computer in der UB, katholische Gruppenstunden für Schwule u.v.m. Übrigens sind es fast nur die Nonnen, die der Mode von Titus - zweifellos die berühmteste Person der Westfalenstadt - nicht folgen.
Dementsprechend geht man am liebsten im Skateboardswear aus, und dazu hat man Möglichkeiten: U.a. das beste Kino Deutschlands mit seinen alternativen Angeboten, oder der weltgrößte Billardtisch. Außer den Fahrrädern, Skateboards bewegen die Busse der Stadtwerke im City-Takt die 55000 Studierenden der Stadt. Der Fachterminus wird wie folgt definiert: alle 10 Minuten kommt ein Bus. Warten lohnt sich dennoch nicht ... Denn an der Haltestelle halten 5-6 Busse und alle 10 Minuten kommt einer von ihnen. Deiner aber vielleicht nur in einer Stunde.
Zurück zu den Studis: sie essen in der drittbesten Mensa Deutschlands (allerdings nur in der drittbesten Atmosphäre und nicht das drittbeste Tagesgericht, dies wird aber immer klein gedruckt), und zwar bundesweit die meisten Studentinnen einer Universität. Also, Jungs, los mit der Bewerbung nach Münster! Fragt nicht, wo sie Platz haben. Wohnraum sicherlich nirgendwo, dafür aber im Sommer am größten innenstädtischen Platz Europas mit dem Namen des nicht minder großen Hindenburgs (natürlich als Parkplatz eingerichtet).
Und wenn man abends einen Platz in der Kreuzstraße sucht, hat man das Gefühl, auch alle Dortmunder Studis seien in Münster, was ein großes Lob für das selbstgebraute Bier von Pinkus ist (Kinder können sich im Pinkulus vergnügen). Das Heimweh kann man im Mojoklub lindern, die besten Parties - ohne Papageno und Papagena - gibt es im Theatercafe. Will man dagegen Einspruch heben, kann man im „Einspruch“ einen heben. Ist jedoch etwas im Uferlos am Ufer los, pilgern Tausende zum Aasee. Dies ist aber zumindest ein wenig anachronistisch, denn es ist schon lange her, als die Universität (ihre erste Einrichtung) im Keller eines Lokals residierte (Stellt euch einmal die Geisteswissenschaftliche Fakultät der Uni Szeged im Keller von Béke Tanszék vor).
Tagsüber - zumindest im Winter - weilen viele Studierende in den geheizten Räumlichkeiten der Uni, von denen das große Hörsaalgebäude sich mit Erfolgschancen um den Titel „Hässlichster Bau Deutschlands“ bewerben könnte (am besten vermeidet es man). Lehre und Forschung dagegen stehen auf hohem Niveau. Weltraum- und Antarktisforschung, Medizin und Jura u.vm. bringen Spitzenleistungen hervor und dies am gebührenden Ort: an der umweltfreundlichsten Uni bundesweit. Die - ja meine Damen und Herren - Müllforschung strebt neuerdings ein Trennungsverfahren an, in dem ein Gerät die „Klassenzugehörigkeit“ des jeweiligen Müllstückes am Förderband ohne dessen Berührung erkennt. Schön. Die Kreativität in der „Westfalenmetropole“ beschränkt sich leider auf die Universität. Stolz ist den frommen Münsteranern eigen, nicht aber der Gedankenreichtum. So ist es ganz natürlich, dass es auf einer Kreuzung in allen Richtungen gleichzeitig rot ist. Geht man zufällig auf dem Fahrradweg, wird man nicht auf dem weit und breit leeren Gehsteig überholt - dies erfordert eine übermäßige kognitive Leistung -, sondern von hinten laut beschimpft oder höchstens durch Schreien und Klingeln aufgefordert zu weichen. Doppelbriefe von städtischen Behörden sind der Regelfall, jedoch nur dann, wenn dein Name aus irgendeinem rätselhaften Grund auf den Bildschirm der Beamten gelangt. Ansonsten kann man ohne Post verhungern. Zuständigkeit ist in Münster ein unbekannter Begriff. Will man irgendetwas erledigen, tut man es rechtzeitig - am besten bereits ein Jahr vorher.
Wenn man über Münster, diese wirklich nette Stadt näheres erfahren will, verweise ich auf www.muenster.de. Die andere Seite wird in einer der neuesten Serien von „Tatort“ trefflich und skandalös dargestellt. Cavete Münster hat seine originale Bedeutung verloren, aber eine neue aufgenommen. Am besten geht man nun auf der Promenade spazieren (wenn eine Stadt über keine mittelalterlichen Stadtmauer verfügt, soll sie zumindest eine Promenade besitzen) - bitte, nicht am Sonntag -, oder sucht Trost in der auch linguistisch interessanten Kneipe, der Best of all possible worlds.