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Zeitung << 1/2002 << Kriegs- und Nachkriegszeit in einem schwäbischen Dorf
Kriegs- und Nachkriegszeit in einem schwäbischen Dorf
Autorin: Noémi Oleár
Dieses Interview wurde mit meinem über 70-jährigen Großvater gemacht. Er ist mit seinem Leben zufrieden und stolz darauf, dass er im Ungarndeutschen Rentnerverein etwas für die Erhaltung des schwäbischen Brauchtums tun kann. Sein Vater war ein relativ wohlhabender Landwirt in Werischwar. Seine Mutter, ebenfalls eine Schwäbin, versorgte die sieben Kinder der Familie. Mein Großvater hatte beim Militärdienst Glück – wie er selber sagt -, denn er musste niemals an die Front. Er heiratete 1945 ein Mädchen aus einer armen schwäbischen Familie, deshalb wurde er aus seinem Elternhaus verstoßen. Meine Großeltern bauten sich jedoch einige Jahre später ein eigenes Haus in Werischwar.
Mein Großvater erzählte zuerst über das Ende des zweiten Weltkriegs. Es gab 1945/46 einen Befehl der russischen Besatzung, dass alle, die sich 1939/40 als Schwaben bekannt hatten, deportiert werden müssen. 1939/40 gab es eine Befragung in Ungarn, wo als Nationalität Deutsch oder Ungarisch angegeben werden konnte. Viele Befragte wussten nicht, wie sie sich entscheiden sollten. Bereits 1944 sind ganz wenige Familien freiwillig gegangen, da sie Volksbündler waren. Der Volksbund war eine nationalsozialistische Vereinigung in Ungarn.
„Unsere Familie hatte das Glück, dass es einen Verwandten gab, der ein bekannter Kommunist war, der war auch schon 1914 in der Kommunistischen Partei”. Er konnte die Kommunisten so beeinflussen, dass sie die Schwaben nicht aus Werischwar deportierten. Das Bergwerk Sankt Iwan wurde zu der Zeit eröffnet, und er sagte den Kommunisten, dass sie dann keine Arbeiter hätten. Aber aus allen anderen Dörfern der Region wurden die Schwaben 1946 deportiert: aus Weindorf (Pilisborosjenõ), Irm (Üröm), Kalasch (Budakalász), Krottendorf (Békásmegyer), Schaumar (Solymár), Tschawa (Piliscsaba), die Schwaben aus Tolna, alle wurden deportiert. „Wir hatten Glück”, meint mein Großvater. Meine Großmutter hätte auch gehen müssen, ihr Vater hieß Krupp. Ein völlig deutscher Name. Die Kommunisten dachten obendrein noch, dass ihr Vater ein Volksbündler wäre. Die Schwaben meinten aber, dass er mit den Kommunisten sympathisiert. Einige sagten immer zu ihm: „Tu Kommunist”. („Tu Kommunist” ist schwäbisch, bedeutet auf Deutsch: „Du Kommunist”). Schwaben, die Mitglieder in der Kommunistischen Partei waren, wurden nicht deportiert.
„Es war bestimmt, dass man innerhalb von 24 Stunden zusammenpacken muss, und dann wurde man in den Viehwaggon gepackt, und man war schon unterwegs.” Mehr als 20 kg durfte keiner bei sich haben, sonst wurde man weggebracht und geschlagen, manchmal gefoltert. Diese Menschen durften nichts mehr mitnehmen, sie gingen mit leeren Händen in die Ferne. Die Sache mit der Deportierung war klar, aber niemand hat gewusst, wann er drankommt. Jeder wusste, er muss gehen, nur wusste er nicht wann. „Gute Sache, nicht wahr?” Getötet wurde niemand, zumindest nicht hier.
Als der Zug mit Deportierten aus Kalasch (Budakalász) und Schneckenberg (Csillaghegy) an Werischwar vorbeifuhr, sind einige Jugendliche aus dem Dorf aufgesprungen. „Ich kenne auch zwei, die da aufgesprungen sind”. Sie waren nicht auf der Flucht, sie wollten nur nicht als Soldaten enden.
Die Nationalsozialisten haben schon 1944/45 viele junge Schwaben für die deutsche Armee rekrutiert. Die, die mitgenommen wurden, sind entweder da geblieben, oder sind gestorben. Von Einigen hat man nie wieder gehört. Es gab aber auch Ungarn, die in die deutsche Armee gingen. Solche kannte mein Großvater auch. Die versteht er aber bis heute nicht.
Weiters erzählte mein Großvater über einen Mann aus dem Dorf, der Priester und Leiter des Volksbundes war, „der wurde jede Woche zur Polizei gebracht, zum Verhör.” Die Leute hatten Angst, dass er erhängt wird, also haben sie ihm geholfen zu fliehen. Das ganze Dorf hat ihm geholfen.
Alle waren schon weg, deportiert, aber in Werischwar konnten alle bleiben – wegen des Bergwerks. Der Verwandte, der die Kommunisten überzeugte, war 1918 im Gefängnis, weil er Kommunist war. Er war solidarisch mit den Schwaben, er war selber einer, der „alte Stehli”. Er konnte kaum ungarisch. Er wollte immer wissen woher die Russen die Bergleute nehmen wollten, denn die Hälfte der Werischwarer arbeitete im Bergwerk.
In der Nachkriegszeit lebte man sehr schlecht. Die Familie meines Großvaters bekam keine Brotscheine, weil sie Land hatte. Brotscheine bekamen nur die Armen. Die Landbesitzer bekamen Fettscheine, aber sonst nichts, während die anderen Fettscheine, Brotscheine und Fleischscheine kriegten. Die Familie konnte trotzdem besser leben, als einige andere, denn sie hatten Vieh, Kartoffeln und Bohnen. Mit Kartoffeln und Bohnen war der ganze Keller voll. Auch Tomaten wurden eingekocht. Zwar haben sie keine Brotscheine erhalten, doch Mehl haben sie bekommen. So konnte die Mutter Brot backen, natürlich mit Kartoffeln, damit es reicht.
Mit den Finanzen hatten sie Glück. Finanzen waren staatliche Kontrolleure, die aufpassten, dass niemand sich ungesetzlich mit Nahrungsmitteln versorgte. Sie hatten drei Kühe, aber nur eine angemeldet. Deshalb konnten sie schwarz schlachten. Zum Glück hat niemand sie verraten.
Alles zusammen kann man sagen, dass die Familie Glück im Leben hatte. Sie überlebte diese Zeit ohne größeren Schaden. Mein Großvater kann noch lächeln, wenn er sich an diese Zeit erinnert. „Egal was passiert, die Menschen können sich auch an Gutes erinnern.”
Erstellt im Sprachübungsseminar von Margarete Ott Interviews über geschichtliche Ereignisse in Ungarn.
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