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Zeitung << 1/2002 << Übersetzung: Achtung, Falle!


Übersetzung: Achtung, Falle!
Autor: Császár Péter

Im Folgenden werden einige Geschichten über die Schwierigkeiten der Übersetzung vorgeführt. Diese Geschichten stammen aus inoffiziellen Quellen – das kann man durchaus verstehen, denn offiziell wird über derartige Missverständnisse eher selten, oder nie gesprochen. Die folgenden Geshichten spielten sich in einer – nicht weit zurückliegenden – Epoche ab, in der die deutsche Sprache noch bei wenigen Kleinfirmen bekannt war.
Einmal schloss eine deutsche Firma mit einem ungarischen Kleinbetrieb einen Zulieferungsvertrag ab, und schickte einige seiner Fachleute als Entwicklungshilfe nach Ungarn.
Nennen wir diesen – seitdem geschlossenen – ungarischen Kleinbetrieb Erste Allgemeine Ankerklüsenfabrik (EAA). Die Angestellten der EAA, die mit den Fachleuten aus Deutschland täglich in Arbeitskontakt standen, konnten anfangs praktisch kein Wort auf Deutsch, aber sie gaben sich bei der Kommunikation ordentlich Mühe, wie es aus den folgenden deutlich hervorgehen wird.

Gebahnter Weg Einer der deutschen Ingenieure verwendete sehr häufig die umgangssprachliche Wendung „es ist höchste Eisenbahn”, was auf Standarddeutsch „es ist höchste Zeit” bedeutet. Seine ungarischen Kollegen konnten in den ersten Tagen, die er bei der EAA verbrachte, einfach nicht herausfinden, was er damit meint. Der alte Pförtner des Betriebs – der übrigens in seinen jüngeren Jahren ausländischen Touristen geschnitzte Holzfiguren verkaufte, und damit die größte Fremdsprachenerfahrung im Betrieb hatte – löste das Problem, als er zu erkannt haben glaubte, dass der deutsche Kollege bestimmt den Hauptbahnhof (sozusagen die höchste Eisenbahn der Gegend) besichtigen möchte.
Der Wendepunkt dieser Geschichte kam, als dem deutschen Kollegen jemand aus Deutschland telefonisch versprach, einen Bericht per Post am folgenden Tag endlich mal abzuschicken. „Morgen? Höchste Eisenbahn!” – reagierte er, was eine ungarische Angestellte zufällig mithörte. Unglücklicherweise war sie auch von dem Pförtner ”eisenbahnmäßig” aufgeklärt, sie dachte also, dass der deutsche Kollege schon am nächsten Tag zum Hauptbahnhof will. Sie teilte das sofort den anderen ungarischen Angestellten mit, die sich darüber einigten, dass sie als gute Gastgeber den deutschen Kollegen nicht allein zum Bahnhof gehen lassen dürfen.
Mit strenger Geheimhaltung wurde zum nächsten Morgen ein Firmenauto und ein Fremdenführer vor den Betrieb bestellt, um den deutschen Kollegen zum Hauptbahnhof zu bringen, und ihn mit den nötigen Kenntnissen zu versehen. Der deutsche Kollege war am folgenden Morgen überrascht genug, als er freundlich zu einem Auto geführt wurde. Er wusste natürlich nicht, was das Ganze bedeuten soll, aber er wollte seine Gastgeber auf keinen Fall kränken, also stieg er ein. Schließlich wurde er im Gebäude des Hauptbahnhofs herumgeführt, und dann vom Stationschef zum Mittagessen eingeladen. Der deutsche Kollege war von der Organisationsarbeit seiner Gastgeber beeindruckt, aber er versäumte seine tägliche Arbeit, die es doch höchste Eisenbahn zu erledigen war.

Auf die Zunge kommt es an

Einmal kam der Vorsitzender der deutschen Partnerfirma höchstpersönlich nach Ungarn, um die Arbeit bei der EAA zu kontrollieren. Seine Frau fuhr auch mit, aber nur in eine Art Urlaub, denn sie arbeitete nicht bei der Firma ihres Mannes.
Ein Angestellter der EAA wurde beauftragt, sich um die Frau zu kümmern, sie bei ihrer Stadtbesichtigung zu begleiten. Er konnte wenig Deutsch, aber er beschloss, die Frau des Vorsitzenden zu beeindrucken, deshalb schlug er in einem Wörterbuch alle Wörter, die – seiner Meinung nach – in einem Gespräch mit Deutschen vorkommen können, nach, wie z.B. Bier, Goethe, oder Mercedes-Benz. Vorsichtshalber nahm er ein kleines Reisewörterbuch mit, damit die Kommunikation mit der Frau möglichst fließend bleibt, wenn ihm unbekannte Wörter auftauchen.
Die Frau des Vorsitzenden erklärte ihm einmal, dass sie es schätzt, dass die ungarischen Angestellten so fleißig Deutsch lernen. Darauf wollte er sie fragen, ob sie seine Sprache, das Ungarische lernen möchte, er kannte aber das Wort ”Sprache” nicht. Er schlug also sein ungarisch-deutsches Wörterbuch bei ”nyelv” (”Sprache”) auf. Auf Ungarisch bedeutet aber ”nyelv” auch ”Zunge”, und bedauerlicherweise war diese Entsprechung der erste Eintrag bei ”nyelv” in seinem Wörterbuch. Er hatte nie in seinem Leben ein Seminar für Wörterbuchbenutzung besucht, deshalb las er leider nur den ersten Eintrag. Diese Bildungsmangel war der Grund für die Äußerung des schönen, klar artikulierten deutschen Fragesatzes: „Möchten Sie meine Zunge kennen lernen?”
Das daraus folgende kurzfristige Missverständnis konnte zum Glück geklärt werden, und endete mit gemeinsamem Lachen. Diese Geschichten sind natürlich nur Anekdoten, der Verfasser dieses Artikels kann also nicht garantieren, dass sie sich überhaupt abgespielt hatten.