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Beiheft WS 2006/2007 << Germanist als TV-Präsident


Germanist als TV-Präsident
Interview mit Zoltán Bohács

Autor: Zsolt Kozma

Zoltán Bohács ist der Generaldirektor des ungarischen Fernsehsenders Magyar ATV. GeMa hat ihn über seine bisherige Karriere im Hinblick auf sein Studium an der Universität Szeged interviewt und war besonders an dem Nutzen des Germanistikstudiums auf dem Arbeitsmarkt interessiert.

Herr Bohács, wieso haben Sie sich damals für das Germanistikstudium an der Universität Szeged entschieden?
Ich habe mich damals nicht bewusst entschieden. Da ich im Gymnasium in Szolnok zwei Sprachen, Englisch und Deutsch gelernt hatte, lag es auf der Hand, in dieser Richtung zu studieren. Ich hatte auch Sprachprüfungen abgelegt: Deutsch Oberstufe und Englisch Mittelstufe. Damals habe ich das Studieren als eine Art Aufschub oder Zeitverzögerung betrachtet, um mich endgültig entscheiden zu können, was ich aus meinem Leben machen will. Doch das war nicht der einzige Grund. Schon damals habe ich mich sehr für die Literatur und Philosophie interessiert, was mich auch auf die Philosophische Fakultät getrieben hat. Letztendlich bin ich aufgenommen worden und habe ab 1989 Germanistik und Anglistik an der Universität Szeged studiert.

Sie haben erwähnt, dass Sie damals schon Sprachprüfungen abgelegt hatten. Haben Sie im Gymnasium die zwei Sprachen in erhöhter Stundenzahl gehabt?
Schon als Grundschüler habe ich, dank meiner Eltern, Deutsch als Privatschüler gelernt. Im Gymnasium ist noch Englisch in erhöhter Stundenzahl hinzugekommen, so habe ich die zwei Sprachen erlernt. Als ich 16 Jahre alt war, habe ich mich für einen längeren Zeitraum in Deutschland aufgehalten und infolge dessen interessierte ich mich immer mehr und mehr für die deutsche Kultur, Literatur und natürlich für die deutsche Sprache selbst. Deswegen habe ich mich auf autodidaktische Weise mit der Literatur und Sprache beschäftigt, und das ist der Grund, warum ich in Deutsch eine höhere Stufe erreicht habe. Dies hat sich auch später als maßgebend erwiesen.

Welche Erinnerungen haben Sie bezüglich Ihrer Studienjahre? Positive vs. negative Erlebnisse und die ewige Frage: welche Lehrveranstaltungen haben Sie geliebt, welche weniger?
Die Stimmung des Studiums bleibt mir unvergesslich. Nach der Wende, Anfang der 90er Jahre hat es ein erhöhtes kulturelles Interesse an den Universitäten gegeben. Damals haben sich alle Pforten (im wahrsten Sinne des Wortes) geöffnet, die Jugend bekam Zugang zu Büchern und Werken, die früher unzugänglich waren. Und dieses Freiheitsgefühl, dass man landesweit fühlen konnte, erfasste auch die Universitäten. Wir Studenten haben das damals sehr genossen und interessierten uns für alle Arten von kulturellen Veranstaltungen und wollten alles, aber wirklich auch alles wissen. Diese Stimmung bestimmte die ersten zwei-drei Jahre, und daran kann ich mich ganz deutlich erinnern.
Für die Literatur habe ich mich immer mehr interessiert als für andere Gebiete des Studiums. Aus diesem Bereich kamen auch die Lehrveranstaltungen, die ich gern hatte. Nach einiger Zeit fokussierte ich mein Interesse auf die Goethe-Zeit sowohl in literarischer als auch in geistesgeschichtlicher Hinsicht. Meine wissenschaftliche Laufbahn haben mir Frau Dr. Kocziszky, Professor Bernáth und Professor Csúri geebnet, ihnen bin ich zu tiefstem Dank verpflichtet. Ihre Persönlichkeit hat auf mich einen starken Einfluss ausgeübt und ihre Denkweise habe ich auch zum Teil übernommen. Als ich im fünften Studienjahr war, arbeitete ich am Lehrstuhl als studentische Hilfskraft und habe nach dem Abschluss meine Kenntnisse als Doktorand erweitert.

Anglistik und Germanistik gehören nicht zu den Fächern, bei denen die Praxis Priorität besäße, doch zur Zeit erlebt das ungarische Hochschulwesen eine Umstrukturierung, bei der es besonders darauf ankommt, dass die Universitäten mehr praxisorientiertes Wissen vermitteln. Sie haben noch im alten System studiert. Lag die Betonung damals auf der Praxis oder eher auf der Theorie?
Damals war die Ausbildung eindeutlich theorieorientiert, doch ehrlich gesagt haben wir auch nichts anderes erwartet. Darüber hinaus schwebte mir zu der Zeit eine wissenschaftliche Laufbahn vor Augen, so hat mich diese theorielästige Ausbildung um so mehr angezogen. Unabhängig davon haben wir gespürt, dass die Lehrerausbildung mehr Praxisorientierung bräuchte und dass wir mehr praktische Tipps und Tricks gern angenommen hätten. Doch das haben wir damals nicht bekommen. Ich kenne nicht die Umstrukturierungspläne des Hochschulwesens, doch ich bin der Meinung, dass in dieser Hinsicht noch einiges zu Wünschen übrig bleibt. Die Praxisorientierung sollte noch mehr in die Lehrerausbildung verankert werden.

Wie wäre das Ihrer Meinung nach zu bewerkstelligen?
Vielleicht sollten mehr aktive Lehrer die Studenten auf den Unterricht vorbereiten. Denn sie können Ratschläge geben, die wirklich effektiv sein können. Das hat zum Beispiel damals in der anglistischen Lehrerausbildung an der Universität sehr gut funktioniert.

Wir haben bisher Theorie und Praxis erwähnt. Wenn wir alles zusammen betrachten, dann stellt sich die Frage, wie Ihnen Ihr Diplom damals bei der Stellensuche geholfen hat? War es ein Vor- oder ein Nachteil, dass Sie an der Uni eine theorielastige Ausbildung bekommen haben?
Meine Karriere habe ich bei einer Sprachschule begonnen. Dort waren die Kenntnisse, die mir an der Uni vermittelt worden sind, ausreichend, um als Lehrer arbeiten zu können. Doch nach dieser Zeit hat sich meine Laufbahn geändert, und plötzlich arbeitete ich im Finanzbereich. Dort konnte ich natürlich praktisch nichts von dem anwenden, was ich an der Philosophischen Fakultät gelernt hatte. Diese Arbeit war vor allem praxisorientiert, ich musste – wie auch heute in meiner jetzigen Arbeit – täglich praktische Aufgaben, Probleme lösen, was mir anfangs natürlich sehr ungewohnt war und sehr schwer fiel.

Wo haben Sie damals gearbeitet?
Das war eine Leasingfirma in Szeged, dort habe ich sieben Jahre lang gearbeitet, am Anfang als Übersetzer und Sekretariatsleiter, später in Führungspositionen im Vertriebsbereich.

Konnten Sie zu dieser Zeit Ihr Germanistik- und Ihr Sprachwissen anwenden?
Mein Sprachwissen auf jeden Fall. Damals galt ich als eine Ausnahme, da ich die Sprache fast wie ein Muttersprachler beherrschte. Bei der Firma, die zu dieser Zeit 60-70 Angestellte hatte, konnte kein anderer Deutsch. Mein Wissen erwies sich bei der Kontakthaltung mit den deutschen Gesellschaftern als sehr nützlich, und da ich mich auch für die deutsche Kultur interessiert habe, konnte ich mich mit ihnen auch über andere Themen unterhalten, nicht nur über das Geschäft. Nur die Fachwörter bereiteten anfangs einige Probleme, doch die habe ich schnell erlernt.
Meine philologische Ausbildung war mir noch in zweierlei Dingen von Nutzen. Erstens fiel mir die Kommunikation mit den Kunden, mit meinen Mitarbeitern und später mit meinen Angestellten immer leicht, was ich meines Erachtens der philologischen Ausbildung zu verdanken habe. Außerdem hat das sehr viel auch bei der Auswahl der Mitarbeiter geholfen. Denn so habe ich ein erweitertes Weltwissen und die nötigen Fähigkeiten zur Kommunikation und Empathie erworben. Zweitens habe ich eine Schreibfertigkeit gelernt, die ich noch heute gut gebrauchen kann. Doch dazu muss man viel lesen und üben. Leider sehe ich in unserer Gegenwart eine Tendenz, dass die Menschen immer weniger schreiben können, besser gesagt, sie formulieren immer schlechter und verwenden Wörter, die stilistisch ein niedriges Niveau haben und daran ist auch das Hochschulwesen unserer Zeit mit Schuld. Es ist ein Fakt, dass die Jugendlichen, die stilistisch angemessener formulieren und sich schriftlich besser ausdrücken können, große Vorteile haben.

An der Universität hat eindeutig die Schriftlichkeit Priorität. Das Erwerben der Kenntnisse geschieht meistens durch das Lesen und die Prüfungen sind schriftlicher Natur. Doch die Beherrschung einer Sprache beinhaltet auch die Mündlichkeit. Wieviel hat Ihrer Meinung nach die Ausbildung an der Uni dazu beigetragen, Ihren mündlichen Ausdruck zu verbessern?
Meines Erachtens wird an der Uni auch viel Wert auf die Verbesserung des mündlichen Ausdrucks gelegt, es ist jedoch ein Fakt, dass bei der Lehrerausbildung einige Mangelhaftigkeiten bezüglich dieses Gebietes zu beobachten waren. Was die Lage heutzutage betrifft, habe ich keine Informationen. Ich hoffe, dass sich während der vergangenen Jahre einiges geändert wurde. Ich bin fest davon überzeugt, dass die kommunikativen Fähigkeiten in unserer Zeit immer mehr und mehr an Bedeutung gewinnen. Wenn ein Jugendlicher sich schriftlich oder mündlich nicht angemessen ausdrücken kann, wird er mit großen Nachteilen zu kämpfen haben. Eben deswegen sollte im Hochschulwesen mehr Wert auf die kommunikative Ausbildung der Studenten gelegt werden.

Sie haben also die Mentalität der Philologen übernommen und Germanistik und Anglistik studiert. Was denken Sie, wie hat das dazu beigetragen, dass Sie Ihre derzeitige Stelle bei Magyar ATV erreicht haben?
Die humanistische Denkweise, die wir schon vorher thematisiert haben, hat als gute Grundlage gedient. Doch es steht außer Frage, dass ich diese Position ohne die Erfahrungen, die ich bei den Führungspositionen bei der Leasingfirma erworben habe, nicht hätte erreichen können. Dort habe ich mein Wissen über die wirtschaftlichen, juristischen und finanziellen Komponenten der Führung einer großen Firma erworben. Ich stützte mich auch noch heute auf dieses Wissen.

Wir haben schon vorher erwähnt, dass bei Ihren früheren Tätigkeiten Ihre Sprachkenntnisse von großem Nutzen waren. Wie können Sie dieses Wissen bei Ihrer jetzigen Arbeit und, worüber wir noch nicht gesprochen haben, in Ihrem Privatleben verwenden? Können Sie das an der Uni erworbene Wissen praktisch anwenden?
Im Arbeitsalltag tauchen nur in geringer Anzahl solche Situationen auf, in denen ich mich auf meine Sprachkenntnisse stützen muss. Natürlich bekomme ich Einladungen verschiedener Botschaften, besuche auch Konferenzen im Ausland, und hier ist es natürlich sehr hilfreich, dass ich ohne Hilfe eines Dolmetschers kommunizieren kann. Ich nehme an, dass in der Zukunft solche Situationen immer häufiger vorkommen werden, da die Integration Europas und die Globalisierung die Welt „immer kleiner“ macht.
Ich würde aber eher etwas anderes hervorheben. Die Offenheit und die empathische Mentalität, die ich mir dank der philologischen Ausbildung angeeignet habe, verschaffen mir große Vorteile bei der Kommunikation mit Ausländern verschiedener Herkunft. Damals bei der Leasingfirma hatte ich einige Kollegen, die hervorragende Fachleute waren. Doch als wir ins Ausland reisten, standen sie da wie versteinert. Sie litten unter einer Art von „Kulturschock“, und das hat sie dermaßen gelähmt, dass sie nichts von ihren zweifellos hervorragenden Fachkenntnissen hervorbringen konnten. Die philologische Ausbildung verschafft den Studenten eine gewisse Offenheit, die das Verständnis verschiedener Kulturen sehr gut fördert, was einem später sehr nützlich sein kann. Und das war und ist ein Vorteil, den ich während meiner bisherigen Karriere immer wieder erfolgreich einsetzen konnte.

Sie meinen, dass die philologische Ausbildung und die Sprachfächer einem Vorteile verschaffen, die auf dem Arbeitsmarkt gut zu „verkaufen“ sind?
Zweifellos, jedoch nur dann, wenn die jeweilige Person die von der Universität angebotenen Möglichkeiten auch ausnutzt. Denn einige Studenten machen dies während ihrer Ausbildung nicht. So vergeuden sie die Möglichkeit, sich Vorteile zu verschaffen, was sie später sicherlich bereuen werden.

Wenn wir alle Komponenten einer germanistischen Ausbildung zusammenzählen, was für Vorteile, denken Sie, hat ein Germanist heute auf dem Arbeitsmarkt?
Heutzutage ist ein Germanistikstudent, der seine Ausbildung an der Uni jetzt beendet, in schwieriger Situation. Jetzt werden schon Fachleute ausgebildet, die zwei oder drei Sprachen beherrschen und neben den Sprachkenntnissen auch noch in einer begehrten Fachrichtung (zum Beispiel Computerprogrammierer) hervorragende Kenntnisse besitzen. Im Vergleich dazu hat ein Germanist mit seinen hervorragenden Deutschkenntnissen allein auf dem Arbeitsmarkt Probleme. Damals, in unserer Zeit, war alles anders. Nach der Wende haben die multinationalen Firmen Ungarn fasst überrannt, und plötzlich trat ein Mangel an Arbeitskräften auf, die Fremdsprachen beherrschten. So ist es mehrmals vorgekommen, und das war auch mein Weg, dass eine Firma einen Mann angestellt hat, der eine Sprache (beispielsweise Deutsch) sprechen konnte, aber keine Ausbildung hatte. Er ist trotzdem angestellt worden, da die Verständigung auf keine andere Weise realisierbar war. Später hat die Firma den Mann ausgebildet und so entstanden die Fachleute. Doch heute gibt es praktisch einen Überfluss an Leuten, die Fremdsprachen sprechen, doch über keine andere, zurzeit begehrte Ausbildung verfügen. Sie werden nur schwer eine Stelle finden.

Sie haben auch Wirtschaftswissenschaften studiert. Was denken Sie: Ist ein Sprachdiplom als eine Art Ergänzung von Vorteil?
Zweifellos, doch die Frage ist nur, was es ergänzen wird. Denn heute muss man sich vor Augen halten, dass es auf einigen Gebieten des Arbeitsmarktes praktisch einen Überfluss gibt, und dort hilft einem das Sprachdiplom auch nicht weiter. Mann muss schon früh genug entscheiden, in welche Richtung man seine Karriere starten will.

Sie behaupten also, dass nicht das Diplom selbst, sondern eher die Beherrschung einer Fremdsprache in sich ein Vorteil ist?
Ja, ganz genau. Eine begehrte Ausbildung und Fremdsprachenkenntnisse sind in unserer Zeit „gut zu vermarkten“.

Wir haben über Ihre bisherige Laufbahn, die Chancen der Germanisten auf dem Arbeitsmarkt und über die Probleme des Hochschulwesens gesprochen. Abschließend will ich eine Frage stellen, die ich zwar als Historiker nicht einmal formulieren dürfte, denn diese Was-wäre-wenn-Fragen sind für Historiker Tabu. Doch ich versuche es trotzdem. Was würden Sie studieren, wenn Sie sich heute entscheiden müssten? Würden Sie immer noch Germanistik und Anglistik wählen?
Mag sein, dass derartige Fragen für Historiker verboten sind, doch sie sind sehr geschickt formuliert. Wahrscheinlich würde ich mich anders entscheiden, doch es kann sein, dass ich diese Entscheidung später sehr bereuen würde. Wenn ich auf meine bisherige Karriere zurückblicke, war es ein Zufall, dass sie sich so entfaltet hat. Das bedeutet aber nicht, dass ich es mir andersherum gewünscht hätte. Ich war und bin zufrieden mit dem, was ich bisher erreicht habe. Doch in unserer Zeit würde ich es mir einfach nicht erlauben können, meine erste Arbeitstelle mit 28 Jahren zu bekommen. Die Konkurrenz ist heute zu stark, um lange warten zu dürfen. Wahrscheinlich würde ich Wirtschaftswissen studieren und natürlich nebenbei intensiv Fremdsprachen lernen. Aber Ihre Frage konkret zu beantworten: Was ich damals gemacht habe, dürfte ich mir heute nicht mehr erlauben.

Ich bedanke mich für das Interview. Ich wünsche Ihnen für Ihre weitere Karriere viel Glück und Erfolg!